Aufarbeitung bei Raiffeisen Schweiz

Wie antisemitisch war Friedrich Wilhelm Raiffeisen?

In der Schweiz gibt es Streit über die Benennung eines öffentlichen Platzes nach Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Ein Komitee fordert die Umbenennung, um keinen Antisemiten zu ehren. Die Schweizer Raiffeisenbanken halten mit einer wissenschaftlichen Studie dagegen.

Friedrich Wilhelm Raiffeisen - PorträtFriedrich Wilhelm Raiffeisen (Porträt)(Bilder: PA mb/lit

War Friedrich Wilhelm Raiffeisen ein Antisemit? Einige entsprechende Äußerungen Raiffeisens sind schon länger bekannt – unter anderem thematisiert in Wilhelm Kaltenborns „Anfang und Ende“ von 2018 (S. 48 ff.). In der Schweiz wurden in diesem Zusammenhang im Frühjahr 2023 Stimmen laut, die die Umbenennung des Raiffeisenplatzes vor dem Hauptsitz der Raiffeisen Schweiz in St. Gallen forderten. Die Schweizer Bankengruppe, zu der aktuell 219 genossenschaftlich organisierte Raiffeisenbanken gehören, gab daraufhin einen unabhängigen Forschungsbericht beim Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich in Auftrag. Erforscht werden sollten die Anfänge der Schweizer Raiffeisenbewegung bis 1950 mit besonderem Fokus auf die Themen „Antisemitismus“ und „Raiffeisen zur Zeit des Nationalsozialismus“.

Für das erste Schwerpunktthema wurden Raiffeisens Äußerungen über Jüdinnen und Juden und sein Einfluss als Sozialreformer und Impulsgeber für die Schweizer Raiffeisenbewegung untersucht. Im Ergebnis kommt der nun vorliegende 83-seitige Ergebnisbericht zum Schluss, dass Friedrich Wilhelm Raiffeisen durchaus antisemitische Formulierungen, Stereotype und Ausdrücke nutze und insbesondere den angeblichen „jüdischen Wucher“ anprangerte. Allerdings sehen die Forschenden bei ihm „keine konsistente antisemitische Ideologie“. Seine antisemitischen Äußerungen würden eher die Virulenz und Widersprüchlichkeit der damaligen Diskurse widerspiegeln. Raiffeisen also nur ein Kind seiner Zeit? Damit macht man es sich recht einfach. Schon Kaltenborn bemerkte in seinem erwähnten Werk „Anfang und Ende“, dass es auch andere „Kinder“ dieser Zeit gegeben habe (S. 53). Konkret verweist er etwa auf den Berliner Oberbürgermeister Max von Forckenbeck oder Theodor Mommsen, der den grassierenden Antisemitismus als „Gesinnung der Canaille“ bezeichnete.

Doch zurück in die Schweiz: Hier übernahmen die Anhänger Raiffeisens, die ab 1902 hauptsächlich in ländlichen katholischen Gebieten zahlreiche Raiffeisenkassen gründeten, das Stereotyp des „jüdischen Wuchers“ und die Erzählung, Friedrich Wilhelm Raiffeisen habe die deutschen Bauern von der Ausbeutung durch „die Juden“ befreit. Die Forschenden der ETH fanden jedoch keine Hinweise darauf, dass Antisemitismus in der Geschäftstätigkeit des Schweizerischen Raiffeisenverbandes oder einzelner Raiffeisenkassen eine Rolle gespielt hätte. Das gelte auch für die Zeit des Nationalsozialismus, dem zweiten Fokusthema der Untersuchung. Weder seien Jüdinnen und Juden durch geänderte Statuten der Darlehenskassen von den Genossenschaften ausgeschlossen worden noch wären die Raiffeisenkassen und der Verband mit ihrer Beschränkung aufs Inlandgeschäft in die nationalsozialistische Raubwirtschaft involviert gewesen.

Den kompletten Bericht gibt es hier zum Nachlesen: „Die schweizerische Raiffeisenbewegung 1880–1950. Forschungsbericht zur Geschichte der schweizerischen Raiffeisenbewegung unter besonderer Berücksichtigung antisemitischer Traditionen und der Zeit des Nationalsozialismus“

Die Gegner der Bezeichnung Raiffeisenplatz kann der Aufarbeitungsbericht derweil nicht überzeugen. Sie bezeichnen ihn als „eine einigermaßen beschönigende Interpretation“ und fordern weiterhin eine Umbenennung des Platzes in St. Gallen.


Quelle: Raiffeisen Schweiz (.pdf-Datei), ETH Zürich
(Ende) genostory.de/17.05.2024/mar