Hintergrund

Fabrikordnung der Baumwollspinnerei Staub & Söhne in Altenstadt von 1853 (Auszug)

Ein typisches Beispiel für die strenge Ordnung in den deutschen Fabriken des 19. Jahrhunderts ist die Fabrikordnung der 1852/53 gegründeten Mechanischen Baumwollspinnerei J.H. Staub & Söhne in Altenstadt bei Geislingen (Württemberg). Sie illustriert sehr gut die prekären Arbeitsbedingungen der sich während der Industrialisierung entwickelnden neuen Arbeiterschicht („Proletariat“). Aufgrund des vielerorts vorhandenen Überangebotes an Arbeitskräften konnten die Fabrikbesitzer ihren Arbeitern neben geringen Löhnen auch sehr rigide Arbeitsvorschriften machen.


§ 6
Jeder Arbeiter ist für die ihm anvertrauten Gegenstände persönlich verantwortlich. Wenn er dieselben bei Nachfragen nicht gleich vorweisen kann, werden sie auf seine Kosten durch neue ersetzt.

§ 7
Wenn in einem Arbeitssaal während der Arbeitszeit, wo alle Arbeiter zugegen sind, ein Gegenstand beschädigt wird, und der Täter Verhehlung wegen nicht auszumitteln ist, so sind die Arbeiter des ganzen Saales bis zur Nachweisung des Täters für den Schaden haftbar.

§ 8
Ein friedliches Betragen wird den Arbeitern zur strengen Pflicht gemacht. Wer sich Streitigkeiten, Beschimpfungen und Tätlichkeiten zu Schulden kommen lässt, unterwirft sich der Strafe, welche der Fabrikaufseher oder Inhaber gegen ihn erkennen wird.

§ 9
Ferner werden bestraft (außer den in § 22 bekannten Fällen, in welchen die Fabrikvorsteher ohne Aufkündigung zur augenblicklichen Entlassung des Arbeiters berechtigt sind):
(1) Unehrerbietiges Verhalten gegen die Aufseher.
(2) Verhehlung von Untreue.
(3) Eigenmächtige Abänderung an den Maschinen, der Beleuchtung, Heizung und Werkzeugen.
(4) Störung anderer Arbeiter.
(5) Verspätung und Versäumnisse, besonders der Unfug des blauen Montags und das Herbeiholen von Speise und Trank.
(6) Unvorsichtigkeit mit Feuer und Licht.
(7) Das Tabakrauchen.
(8) Lärm machen auf dem Weg zu und von der Fabrik.
(9) Beschädigung an Häusern, Gärten, Bäumen, Zäunen, Brunnen und dgl.

§ 13
Die erhobenen Geldstrafen (worunter aber die Entschädigungen nicht verstanden sind) werden zur Unterstützung kranker und beschädigter Arbeiter verwendet.

§ 14
Der Arbeitslohn wird von den Fabrikinhabern am ersten Zahltag nach dem Eintritt des Arbeiters festgesetzt und später nach Umständen erhöht oder erniedrigt. Jede Erhöhung oder Erniedrigung desselben, sowie die Arbeitsstunden, sollen den Arbeitern vorher an einem Zahltage angezeigt werden. Bei Lohnerniedrigung hat der Arbeiter jedoch das Recht einer vierzehntägigen Aufkündigung, von welcher aber am nächsten Arbeitstage Gebrauch gemacht werden muss, indem sonst die sechswöchige Aufkündigung in Kraft bleibt.

§ 15
Jedem Arbeiter wird gleich von Anfang an sechs Tage oder ein vollständiger Wochenlohn als Decomte (= Abzug vom Lohn) zurückbehalten und bei Lohnerhöhung vervollständigt.

§ 17
Der Arbeiter, welcher seinen Dienst in der Fabrik aufgeben will, ist verpflichtet, seinen Austritt sechs Wochen vorher, und zwar an einem je nach zwei Wochen eintretenden Zahltage, den Fabrikinhabern oder dem Aufseher anzuzeigen; bei Kindern wird die Aufkündigung nur von den Eltern oder Versorgern angenommen.

§ 18
Diese sechswöchige Aufhebung wird auch von den Fabrikinhabern gegen jeden Arbeiter beobachtet werden, wo keine besonderen Klagen vorhanden sind.

§ 19
Sogleiche Aufkündigung sowohl von den Fabrikvorstehern als von den Arbeitern findet statt beim Eintreten außerordentlicher Ereignisse, durch elementarische oder politische Verhältnisse, falls die Arbeit nicht binnen 14 Tagen aufs neue beginnen kann; oder die Arbeiter nach einem verhältnismäßigen Tageslohn auf andere Weise beschäftigt werden können.

§ 22
Die Fabrikbesitzer sind jedoch zur augenblicklichen Entlassung des Arbeiters ohne Vergütung von Lohn und Decompte berechtigt, wenn dieser das eine oder das andere der nachstehenden Vergehen sich zu schulden kommen lässt.
(1) Diebstahl oder Untreue.
(2) Prügelei, Unzucht oder Betrunkenheit im Fabrikgebäude.
(3) Komplotte oder Auflehnung gegen die Fabrikordnung.
(4) Beschimpfung der Aufseher.
(5) Tätliche Widersetzlichkeit.
(6) Weigerung der Übernahme einer ordentlichen Arbeit in der Fabrik.
(7) Eigenmächtiges Verlassen der Arbeit.
(8) Beharrlicher Ungehorsam.
(9) Absichtliche oder bedeutende Verletzung des anvertrauten Arbeitsgerätes oder Arbeitsstoffes.

(zitiert nach: Jürgen Kuczynski: Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Teil I. Bd. 2, (Akademie-Verlag) Berlin (Ost) 1962, S. 197-199)

2 Gedanken an “Fabrikordnung der Baumwollspinnerei Staub & Söhne in Altenstadt von 1853 (Auszug)

  1. Mulo Mulinski

    Richtig so, da gab es noch Zucht und Ordnung und nicht Verlotterung und Dekadenz wie es sich mittlerweile überall in der EU ausgebreitete hat

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