Ein altbekanntes Prinzip

Vormoderne Genossenschaften

Allgemein heißt es, dass Genossenschaften in Deutschland mittlerweile auf eine mehr als 150-jährige Geschichte verweisen können. Diese Aussage bezieht sich auf die sogenannten „Modernen Genossenschaften“, deren historische Grundsteine ab Mitte des 19. Jahrhunderts von Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen gelegt wurden. Doch die beiden Genossenschaftspioniere haben das Konzept nicht erfunden – sondern „nur“ eine sehr viel ältere Idee weiterentwickelt.

Wappen einer Schuhmacher-ZunftAltes Wappen einer Schuhmacher-Zunft (Bild: wikipedia, gemeinfrei)

Was einer allein nicht schafft, das erreichen viele zusammen – dieses Kooperationsprinzip kannte man schon im Altertum, etwa bei Handwerkern im Alten Ägypten, Vereinen zur Begräbnissicherung im antiken Griechenland, Berufsverbänden (Collegien) im Alten Rom oder in der babylonischen Landwirtschaft. Auf deutschem Boden reichen die Anfänge der genossenschaftlichen Zusammenschlüsse zurück bis zur gemeinsamen Viehhaltung und Weidebewirtschaftung germanischer Sippenverbände. Von ihnen lässt sich die Entwicklung des Kooperationsprinzips über Haubergs-, Gehöfer- und Markgenossenschaften sowie die ab dem 8. bzw. 11. Jahrhundert entstehenden Gilden und Zünfte der Kaufleute und Handwerker bis in das Mittelalter weiter verfolgen.

Einige dieser vorindustriellen Zusammenschlüsse wiesen bereits die Charakteristika moderner Genossenschaften auf und bestehen in Einzelfällen sogar noch bis heute. Dazu zählen unter anderem die Theelacht zu Norden als eine über 1.000 Jahre alte bäuerliche Vereinigung zur Verwaltung der friesischen Marschen, die im Mittelalter entstandene Siegerländer Haubergswirtschaft zur gemeinschaftlichen und nachhaltigen Wald-, Feld- und Weidenutzung oder die im späten Mittelalter für den Holzhandel gegründete Murgschifferschaft im Nordschwarzwald (siehe auch: Beispiele vormoderner Zusammenschlüsse).

Kleine Begriffskunde

Der Begriff Genossenschaft wurzelt im altdeutschen Wort „noz“ (=Vieh). Wer Anteil am Vieh bzw. einer Viehweide hatte, wurde als „Ginoz“ bezeichnet. Die gemeinsame Viehhaltung war Angelegenheit der „ginozcaf“. Aus dem „Ginoz“ wurde im Mittelhochdeutschen der „Genoz“ und in der Neuzeit der „Genosse“. Der Begriff bezeichnet Gefährten mit gemeinsamen Erfahrungen oder Zielen, z.B. Kampf-, Eid- oder Bundesgenossen.

Mit den „modernen“ Genossenschaften verbindet die „vorkapitalistischen“ Zusammenschlüsse das Ziel, durch Kooperation die (wirtschaftliche) Position der Mitglieder zu sichern. Allerdings waren viele dieser Vereinigungen noch als Zwangsorganisationen organisiert und fußten nicht auf dem Prinzip der Gleichberechtigung. Zudem erfassten sie ihre Mitglieder oft über alle ihre Lebensbereiche hinweg – von der Arbeit über die soziale Absicherung bis zum gesellschaftlichen Dasein. Dagegen sind Genossenschaften heute vorwiegend nur auf einen gemeinsamen, meist wirtschaftlich orientierten Zweck ausgerichtet.