Biografie

Hermann Schulze-Delitzsch (1808-1883)

Hermann Schulze-Delitzsch ist als einer der „Gründerväter“ des deutschen Genossenschaftswesens in die Geschichte eingegangen. Doch sein Wirken beschränkte sich nicht allein auf den genossenschaftlichen Bereich. Als führender Liberaler gehörte er zu den Gründern des Deutschen Nationalvereins (1859) und der deutschen Fortschrittspartei (1861). Wegen seiner Verdienste hat ihm die Universität Heidelberg 1878 den Titel eines Ehrendoktors verliehen.

Richterzeit in Delitzsch

Hermann Schulze-Delitzsch, Porträt um 1870 Hermann Schulze-Delitzsch, Porträt um 1870 (Bild: PA mb/lit)

Am 29. August 1808 wurde Franz Hermann Schulze als ältestes von zehn Kindern des Patrimonialrichters, Bürgermeisters und späteren Justizrates August Wilhelm Schulze im kursächsischen Delitzsch geboren. Nach Abschluss der traditionsreichen Leipziger Nikolaischule nahm er, der Familientradition folgend, das Jura-Studium auf; zuerst in Leipzig, dann in Halle und Naumburg. Im Herbst 1840 kehrte er zurück nach Delitzsch. Dort übernahm er die Patrimonialrichterstelle des Justiziars Hildebrandt, die er bis Anfang 1849 ausüben sollte.

Das Amt ließ ihm Zeit zum Reisen, die Schulze unter anderem nach Salzburg, Tirol, Schweden und Norwegen sowie nach Italien auf den Ätna führten. Zudem gründete er 1846 einen Gesangsverein und war im Delitzscher Turnverein aktiv. In den Hungerjahren 1846/47 organisierte er außerdem ein Hilfskomitee zum Ankauf von Getreide und der kostenlosen Abgabe von Brot an Bedürftige. Diese Initiative trug sicherlich dazu bei, dass Schulze am 1. Mai 1848 zum Abgeordneten des Wahlkreises Delitzsch sowohl für die Preußische als auch die in Frankfurt tagende Nationalversammlung gewählt wurde. Er entschied sich für die Berliner Volksvertretung.

Abgeordneter der Preußischen Nationalversammlung

Mit seiner demokratischen Gesinnung war Schulze – der sich zur besseren Unterscheidung von Abgeordneten gleichen Namens inzwischen nach seiner Heimatstadt Hermann Schulze-Delitzsch nannte – für die königliche Regierung oftmals ein unbequemer Redner. So sprach er sich beispielsweise während der Beratungen zu einem Verfassungsentwurf im Oktober 1848 dafür aus, das Gottesgnadentum der Monarchie aus der Präambel zu streichen und argumentierte scharf: „Man pflegt, wenn ein Handlungshaus bankrott geworden ist, die Firma nicht mit in das neue Geschäft hinüberzunehmen.“

Im Zuge der Reaktion entmachtete Friedrich Wilhelm IV. im November 1848 die preußische Nationalversammlung und verlegte ihren Tagungsort nach Brandenburg. Als die Abgeordneten, unter ihnen auch Schulze-Delitzsch, darauf aus Protest mit einem allgemeinen Aufruf zur Steuerverweigerung reagierten, wurde die Volksvertretung mit militärischer Gewalt aufgelöst. Zusammen mit weiteren 41 Parlamentariern wurde er im Steuerverweigerungsprozess der Anstiftung zum Aufruhr angeklagt. Nach einer Aufsehen erregenden Verteidigungsrede Schulze-Delitzschs, der selbst seine Gegner Achtung zollten, sprach das Gericht ihn und 40 seiner Mitstreiter frei. Trotz des Freispruchs war seine berufliche Situation in der Folgezeit von den Nachwirkungen seiner politischen Betätigung während der Revolutionsjahre überschattet. Der liberale Politiker wurde überwacht, nach Posen strafversetzt und schied dort schließlich aus dem Justizdienst aus.

Schulze-Delitzsch und das Genossenschaftsprinzip

Vorstand und Kuratorium des Delitzscher Vorschuss-Vereins Vorstand und Aufsichtsrat des Delitzscher Vorschuss-Vereins (Bild: PA mb/lit)

Ungeachtet dieser schwierigen beruflichen Phase begann er sich in der jungen Genossenschaftsbewegung zu engagieren. Noch während seiner Zeit als Abgeordneter der Preußischen Nationalversammlung war Schulze-Delitzsch in einer Handwerkerkommission des Parlaments mit der düsteren Situation der Handwerker und Kleingewerbetreibenden konfrontiert worden. Diese sahen sich durch die beginnende Industrialisierung mit ihren neuen Produktions- und Transportmöglichkeiten sowie den gesetzlichen Reformen (wie der Gewerbefreiheit) vor eine neue Situation gestellt. In den seltensten Fällen verfügten sie über das Kapital und die Beziehungen, um ihre benötigten Rohstoffe und Vorprodukte in größeren Mengen zu günstigeren Preisen zu kaufen. Stattdessen waren sie vielfach auf Zwischenhändler angewiesen, von denen sie die Materialien auf Kredit erwarben.

Um die Situation des Mittelstands zu verbessern, setzte Schulze-Delitzsch auf regionale Zusammenschlüsse. 1849 gründete er in seiner Heimatstadt eine Tischler- und eine Schuhmacher-Assoziation, ein Jahr später den Delitzscher Vorschussverein. Letzterer verfügte aber noch nicht über eine gemeinsame Haftpflicht der Mitglieder. Zudem finanzierte er sich mehrheitlich durch Spenden oder zinsfreie Darlehen wohlhabender Delitzscher Mitbürger, wie Schulze-Delitzsch später selbst kritisierte. Dass sein Konzept ausbaufähig war, zeigte sich noch im gleichen Jahr im Nachbarort. Der dort gegründete Eilenburger Darlehnskassen-Verein richtete sich nach bankwirtschaftlichen Grundsätzen und rückte die Prinzipien Selbsthilfe und Selbstverantwortung in den Fokus. Das notwendige Kapital beschaffte er sich durch Mitgliedsbeiträge zum Ansparen von Geschäftsanteilen sowie durch Darlehen und auch Einlagen von Nichtmitgliedern.

Buch: Hermann Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden Literatur-Tipp:

Hermann Schulze-Delitzsch – Ausgewählte Schriften und Reden des Gründervaters der Genossenschaften, Schaltzeit Verlag, ISBN 978-3-941362-01-7

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Nach seinem Ausscheiden aus dem Justizdienst griff Schulze-Delitzsch die Erfahrungen in Eilenburg auf und ging an die Umorganisierung des Delitzscher Vorschussvereins, hin zu einer stärkeren Gewichtung des Prinzips der Selbsthilfe. Seine Erkenntnisse fasste er in dem 1855 erschienenen Handbuch „Vorschuss- und Kreditvereine als Volksbanken“ zusammen. Darin erklärte er praxisnah die Gründung von Vorschussvereinen und prägte auch den Begriff „Volksbank“.

Angestoßen durch diesen „Leitfaden“ und unterstützt durch seine Vorträge und Artikel kam es zu einer Gründungswelle, die die Zahl der Vorschussvereine bis 1865 auf rund 1.000 anschnellen ließ. Zur Bündelung ihrer Interessen regte Schulze-Delitzsch 1859 die Bildung des „Centralkorrespondenzbureaus der deutschen Vorschuss- und Kreditvereine“ an. Dieses wurde 1862 in eine „Anwaltschaft deutscher Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“ umgewandelt, der er bis zu seinem Tod vorstand.

Vater des Genossenschaftsgesetzes

Hermann Schulze-Delitzsch vor dem Deutschen Reichstag, 1874 Schulze-Delitzsch redet vor dem Deutschen Reichstag (1874) (Quelle: Die Gartenlaube, Nr. 18/1874)

Gleichzeitig wurde er auch wieder politisch aktiv. 1861 ließ er sich in das neu konstituierte Preußische Abgeordnetenhaus wählen, nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 schließlich in den Deutschen Reichstag. Während dieser Zeit setzte er sich weiter für die Entwicklung des Genossenschaftswesens ein. Als Krönung seines Lebenswerkes kann dabei die Verabschiedung des preußischen Genossenschaftsgesetzes von 1867 gewertet werden, bedeutete es doch die allgemeine Anerkennung seiner wirtschaftlichen und sozialen Bestrebungen. 1889 wurde basierend auf Schulze-Delitzschs Ausarbeitungen eine Revision des Gesetzes beschlossen, welches noch heute die genossenschaftliche Gesetzgebung prägt.

Die Verabschiedung dieses Gesetzes zu erleben war ihm jedoch nicht mehr vergönnt. Am 29. April 1883 verstarb Hermann Schulze-Delitzsch nach kurzer Krankheit in Potsdam, wo er am 3. Mai 1883 beerdigt wurde.

2 Gedanken an “Hermann Schulze-Delitzsch (1808-1883)

  1. Winfried Schinke

    Hallo Herr Brendel, zwischen den Feiertagen habe ich ein wenig Zeit und deshalb auf meinen persönliche Entwicklung zurück geschaut und bin dabei auf Ihren Artikel gestoßen.
    Ich wurde in Zschortau, ca. 10 km von Delitzsch geboren. Mit 3 Jahren zogen meine Eltern nach Delitzsch in die Altstadt nahe Peter-und Paul-Kirche und Markt. Die Schulze-Delitzsch-Schule wäre meine Grundschule. Ich habe mich immer für die Geschichte des berühmten Dr. Schulze-Delitzsch interessiert. Da ich in der DDR aufgewachsen bin, habe ich mich auch mit Karl Marx beschäftigen müssen. Deshalb mein Hinweis an Sie, daß im 1. Band des Kapitals schon auf den ersten Seiten ein Hinweis von Karl Marx auf Hermann Schulze-Delitzsch mit dessen Idee der Genossenschaften zu finden ist. Eventuell können Sie mit diesem Hinweis etwas anfangen.
    Viele Grüße aus Bogen an der Donau
    Winfried Schinke

  2. Marvin Brendel

    Hallo Herr Schinke,
    vielen Dank für diese Information. Und entschuldigen Sie bitte, dass Ihr Kommentar einige Zeit in der Moderationssschleife hängen blieb…

    Beste Grüße!

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