Am 27. März 1862 wurde – vermutlich mitinitiiert von Friedrich Wilhelm Raiffeisen – in der Westerwald-Gemeinde Anhausen ein Darlehnskassen-Verein gegründet. Er wies einige Neuerungen auf, die sich als wesentlich für die weitere Entwicklung der ländlichen Genossenschaften Raiffeisen’scher Prägung erweisen sollten.
Konkret unterschied sich der Anhauser Darlehnskassen-Verein in drei wichtigen Punkten von den vorangegangenen Vereinsgründungen Raiffeisens:
- Die Mitglieder des Darlehnskassen-Vereins waren die Hilfsbedürftigen selbst und nicht – wie noch bei Raiffeisens Wohltätigkeitsvereinen in Flammersfeld und Heddesdorf – die wohlhabenden, geldgebenden Bürger des Ortes. Damit wurde ein Wandel von der Wohltätigkeit hin zur Selbsthilfe vollzogen. Die Mitglieder zahlten – im Gegensatz zum System Schulze-Delitzschs – keine Einlagen oder Eintrittsgelder und mussten auch keine Geschäftsanteile erwerben. Die Finanzierung der Darlehnskassen erfolgte stattdessen über die Aufnahme von Anleihen gegen die solidarische Haftung der Mitglieder.
- Die Tätigkeit des Vereins war eng auf das Gebiet des Kirchspiels Anhausen begrenzt. Somit war der Vereinsbezirk wesentlich kleiner als in Flammersfeld und Heddesdorf. Die Mitglieder kannten einander besser und wussten auch sehr gut über ihre jeweilige finanzielle Situation Bescheid.
- Zudem beschränkte der Verein seine Tätigkeit auf das reine Darlehnsgeschäft – was auch zur Bezeichnung Darlehnskassen-Vereine führte.
In den ersten Jahren nach der Gründung des Anhauser Darlehnskassen-Vereins versuchte Friedrich Wilhelm Raiffeisen noch, den Verein zu einer Veränderung seiner Statuten zu bewegen. Dabei stieß er jedoch auf den Widderstand der Anhauser Genossen. In der Auseinandersetzung darüber erkannte Raiffeisen dann auch, dass sein damals angedachtes – und auch von Schulze-Delitzsch stark verfochtene – Modell mit Eintrittsgeldern und Geschäftsanteilen für die ländliche Bevölkerung nicht die beste Wahl war. Stattdessen empfahl er in seinem 1866 erschienenen Ratgeber zur Gründung ländlicher Genossenschaften die Anhauser Statuten zur Nachahmung – insbesondere für besonders ländlich geprägte Regionen.
Ein Opfer der Inflation
Zur weiteren Entwicklung des Anhauser Darlehnskassen-Vereins liegen mir nur wenige Informationen vor. Sie scheint aber eine recht fruchtbare gewesen zu sein. Immerhin bestand die Darlehnskasse bis in die Zeit der großen Inflation in der Weimarer Republik. Die dramatische Geldentwertung und gleichzeitige deutliche Ernteausfälle führten zum Verlust des gesamten Reservekapitals. Am 10. Juni 1923 beschlossen die Mitglieder des Anhauser Darlehnskassen-Vereins daher die Liquidation ihrer Kreditgenossenschaft.
Die genossenschaftliche Idee wurde damit aber auch in der Region Anhausen nicht zu Grabe getragen. Noch während der Liquidation der geschichtsträchtigen Darlehnskasse wurden in mehreren Orten des Kirchspiels Anhausen schon neue, noch enger begrenzte Ortsvereine mit Geld- und Warenverkehr ins Leben gerufen. Unter ihnen befand sich auch die am 16. November 1924 gegründete „Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Meinborn“. Aus ihr ging später die Raiffeisenkasse des Kirchspiels Anhausen hervor, die wiederum bis 2003 mit einigen anderen Bankgenossenschaften der Region zur Raiffeisenbank Neustadt eG fusionierte.