Hintergrund

Der Eilenburger Darlehnskassen-Verein

Der Eilenburger Darlehnskassen-Verein spielte bei der Entwicklung des modernen deutschen Genossenschaftswesens eine große Bedeutung. Hier wurden erstmals die Prinzipien der Selbsthilfe und der unbeschränkten Solidarhaftung aller Mitglieder bei einem Vorschussverein verwirklicht – und dann vom Genossenschaftspionier Hermann Schulze-Delitzsch übernommen.

Eilenburg – Stadtansicht um 1840 Eilenburg um 1840 (Bild: wikipedia)

Eilenburg entwickelte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Zentrum der preußischen Textilindustrie, speziell der Kattundruckerei. Zahlreiche Industrielle aus dem nahen Sachsen ließen sich hier nieder, um so zollfreien Zugang zum preußischen Markt zu bekommen. Mit dem Aufschwung wandelte sich der Ort zu einer modernen Industriestadt mit einer starken Lohnarbeiterschaft. Zur Jahrhundertmitte hatte Eilenburg bereits rund 10.500 Einwohner – und war damit ähnlich groß wie Merseburg (als Hauptstadt des gleichnamigen preußischen Regierungsbezirkes). Zum Vergleich: Das benachbarte Delitzsch zählte 1848 als damals vergleichsweise ruhige Ackerbürgerstadt ca. 5.000 Einwohner.

Bürgerverein als Impulsgeber

Dr. Anton Bernhardi, Eilenburg – Porträt-Bild Dr. Anton Bernhardi
(um 1850)

Ernst Bürmann – Eilenburg (Porträt) Ernst Bürmann (Bilder: PA mb/lit)

Im Revolutionsjahr 1848 wurde in Eilenburg ein „Bürgerverein“ gegründet. Dessen selbstgestellte Aufgabe war die Verbreitung demokratischer Gesinnung, weshalb seine Aktivitäten von den Behörden „aufs schärfste“ beobachtet wurden. Zu den Führern des Vereins, der 1848 schon rd. 200 Mitglieder zählte, gehörten der Arzt Dr. Anton Bernhardi und der Schneidermeister Ernst Bürmann. Der Bürgerverein war es auch, von dem 1850 die Gründung des Eilenburger Darlehnskassen-Vereins ausging.

Einem Aufruf in der Lokalpresse zufolge sollte auf einer für den 10. September 1850 einberufenen ordentlichen Sitzung des Bürgervereins unter anderem über einen Antrag auf „Errichtung einer Darlehnskasse für Handwerker und Arbeiter“ und die dafür entworfenen Statuten diskutiert werden. Bereits wenige Tage später, am 30. September 1850, wurde während einer weiteren Sitzung des Bürgervereins der Eilenburger Darlehnskassen-Verein ins Leben gerufen. Gleichzeitig wurde Dr. Bernhardi sen. zum Vorsteher und Ernst Bürmann zum Kassierer des Vereins gewählt.

Vorbild: Düben statt Delitzsch

Die Mitgliederzahl der Darlehnskasse stieg von anfänglich elf Personen innerhalb weniger Tage auf über 100 an. Dazu trug auch ein nochmaliger ausführlicher Beitritts-Aufruf von Bürmann im „Eilenburger Volksblatt“ vom 16. Oktober bei. Interessanterweise nennt er darin nicht den im Mai 1850 gegründeten Delitzscher Vorschuss-Verein als Vorbild, obwohl er – und Bernhardi vermutlich noch stärker – engen Kontakt zum dortigen Genossenschaftspionier Hermann Schulze-Delitzsch hatten. Stattdessen verweist Bürmann auf die bereits im Frühjahr 1849 gegründete Dübener Darlehns-Kasse und deren Erfolg:


Nochmalige Einladung zum Beitritt des hier zu errichtenden Darlehns-Kassen-Vereins.

Wie zweckmäßig und nützlich ein solches Institut ist, dürfte schon aus dem Beispiele, welches unsere Nachbarstadt Düben uns gibt, hervorgehen, wo vor ungefähr zwei Jahren eine Darlehns-Kasse errichtet wurde. Anfänglich waren allerdings so manche Schwierigkeiten dabei zu überwinden, namentlich hegte man zu dem Institute kein rechtes Vertrauen; allein die Schwierigkeiten wurden besiegt und das Publikum lernte bald einsehen, welchen Nutzen dieses neue Institut hatte. Im letzt vergangenen Jahre wurden schon 1.500 Taler umgesetzt, und das Vertrauen zu diesem Institute gewinnt von Tage zu Tage. Dass auch für Eilenburg die Notwendigkeit zur Errichtung eines solchen Institutes vorliegt, ist bereits von sehr vielen gefühlt worden; ich habe daher die Sache in die Hand genommen und unter Beratung mehrerer Sachverständigen ein solches Statut entworfen. (…)“

(aus: „Eilenburger Volksblatt“, 16. Oktober 1850)

Dank dieser und weiterer ausführlicher Berichterstattung über den Eilenburger Darlehnskassen-Verein stieg dessen Mitgliederzahl bis Ende Oktober 1850 auf knapp 200 an. Zum 1. November 1850 nahm die Darlehnskasse ihre Geschäftstätigkeit auf. Das benötigte Geschäftskapital zur Vergabe von Darlehn beschaffte sie sich aus den Mitgliedsbeiträgen – die anfänglich 1 Silbergroschen je Monat betrugen – sowie aus der eigenen Aufnahme von Darlehn. Hierbei versprach der Vorschussverein interessierten Kreditgebern eine Verzinsung von bis zu 5 Prozent sowie die solidarische Bürgschaft aller Mitglieder, „von denen ein großer Teil angesessen ist“ – also in Eilenburg über Grundbesitz verfügten.

Zur weiteren Entwicklung des Eilenburger Darlehnskassen-Vereins liegen mir leider nur noch wenige weitere Informationen vor, die nachstehend in Stichpunkten dargestellt sind. (Über weitere Hinweise dazu würde ich mich freuen: Kontakt)

  • Der „Zinsfuß“ für ausgegebene Darlehn betrug anfänglich 8,5 Prozent, wurde in späteren Jahren aber ermäßigt. Im Jahr 1900 wurden bei Ausleihungen 5 Prozent Zinsen berechnet.
  • Anfang Oktober 1900 betrug der Mitgliederbestand des Darlehnskassen-Vereins zu Eilenburg eGmbH „über 300“.
  • 1915: Die inzwischen als Bank-Verein zu Eilenburg b.H. firmierende Kreditgenossenschaft hatte zum Jahresende 425 Mitglieder.
  • 1940: Die Volksbank Eilenburg zählte zum Jahresende 772 Mitglieder.
  • April 1973: Durch Beschluss der Generalversammlung vom 6. April verschmolz die Genossenschaftsbank für Handwerk und Gewerbe in Eilenburg rückwirkend zum 1. Januar 1973 auf die Genossenschaftsbank für Handwerk und Gewerbe in Delitzsch.

(Parallel zum Eilenburger Darlehnskassen-Verein wurde offenbar 1899 noch eine Gewerbebank Eilenburg b.H. gegründet. Diese war Mitglied im Hauptverband deutscher gewerblicher Genossenschaften. Ein bislang letzter Existenznachweis ist mir für 1910 bekannt – was danach aus der Bank wurde, kann ich leider nicht sagen. Wer weitere Informationen hierzu hat, kann mich damit gerne kontaktieren.)