Hintergrund

Der Delitzscher Vorschuss-Verein (Volksbank Delitzsch)

Der 1850 vom Genossenschaftspionier Hermann Schulze-Delitzsch gegründete Delitzscher Vorschuss-Verein ist zwar nicht die älteste Bankgenossenschaft Deutschlands. Trotzdem gilt er als eine wichtige Wurzel des modernen Genossenschaftswesens: Hier – und beim Darlehnskassen-Verein im benachbarten Eilenburg – wurden erstmals für Kreditgenossenschaften die Prinzipien der Selbsthilfe und Selbstverantwortung nachhaltig umgesetzt.

Vorstand und Kuratorium des Delitzscher Vorschuss-Vereins Vorstand und Aufsichtsrat des Delitzscher Vorschuss-Vereins (1853) (Bild: PA mb/lit)

Bereits am 16. März 1850 regte Hermann Schulze-Delitzsch im „Nachrichten-Blatt des Kreises Bitterfeld-Delitzsch“ die Gründung einer Darlehnskasse in seinem Heimatort an. Bereits zwei Tage später, am 18. März 1850, fand im Gasthof „Goldener Ring“ eine erste Vorbesprechung statt. Am 10. Mai 1850 konstituierte sich schließlich an gleicher Stelle der Delitzscher Vorschuss-Verein. Anfang Juni nahm er seine Geschäftstätigkeit auf.

Von der Wohltätigkeit zur Selbsthilfe

Im Gegensatz zu der wenige Monate später im benachbarten Eilenburg entstandenen Darlehnskasse basierte der Delitzscher Vorschuss-Verein noch sehr stark auf dem Prinzip der Wohltätigkeit. So bestand das anfängliche Betriebskapital laut einer Auflistung zum 14. Mai 1850 überwiegend aus Schenkungen (107 Thl. 7 Sgr. und 6 Pf.) und unverzinslichen Darlehn (45 Thl. und 10 Sgr.). Lediglich 1 Thl. 24 Sgr. und 3 Pf. waren durch Mitgliedsbeiträge zusammengekommen. Darüber hinaus vergab der Vorschuss-Verein seine Darlehn nicht nur an die Mitglieder, sondern an unbemittelten Bürger – sofern sie ein selbstständiges Gewerbe betrieben, keine entehrenden Verbrechen begangen hatten und mindestens drei Jahre in der Stadt ansässig waren.

Insgesamt, so urteilte Schulze-Delitzsch im Jahr 1853 rückblickend, konnten durch die Monatsbeiträge der Beteiligten kaum die Verwaltungskosten des Vorschussvereins gedeckt werden. Zudem kam es zu Kreditausfällen, wobei der Kapitalabfluss infolge des nachlassenden Interesses der wohlhabenden Delitzscher Bürger nicht durch neue Zuwendungen ersetzt werden konnte. Von den vielen Geldgesuchen habe man nur verhältnismäßig wenige berücksichtigen können, weshalb sich die Vorschussempfänger immer mehr zurückgezogen hätten und die Teilnahmslosigkeit gestiegen sei.

Um dem Vorschussverein neue Impulse zu geben, begann Schulze-Delitzsch 1852 mit einer Überarbeitung der Statuten. Dabei orientierte er sich an den positiven Erfahrungen bei der Eilenburger Darlehnskasse: So erlaubte das neue Statut keine Vorschussvergabe mehr an Nichtmitglieder. Zudem sah es die solidarische Haftung der Mitglieder für aufgenommene Darlehn vor und eine stärkere Finanzierung des Vereins durch laufende Monatsbeiträge der Mitglieder. Nach der Absegnung durch die Generalversammlung und der Bestätigung durch die Merseburger Regierung wurde das neue Statut schließlich am 11. November 1852 veröffentlicht.

Durch die Reorganisation des Vorschussvereins gelang es Schulze-Delitzsch, das Interesse der kleinen Handwerker wieder neu zu aktivieren. Die Mitgliederzahl – die von August 1850 bis Mai 1851 von 43 auf 35 gesunken war – stieg wieder deutlich an: Bis Ende Mai 1853 waren es bereits 150 ordentliche Mitglieder sowie 12 Ehrenmitglieder. Unter letzteren befanden sich auch Hermann Schulze-Delitzsch sowie dessen Vater und seine zwei Brüder.

Wechselnde Ansicht zu staatlicher Unterstützung

Schon wenige Jahre später sollte Schulze-Delitzsch entschieden gegen jegliche staatliche Unterstützung für die Genossenschaften eintreten – 1852 stand er dem jedoch noch offen gegenüber: Im September des Jahres bat er in einer Eingabe an den Delitzscher Magistrat, dass die Stadt doch dem neuen Vorschussverein für drei Jahre ein unverzinsliches Darlehn von 200 Taler gewähren sollte. Im Gegenzug bot er zur Sicherheit an, dass die Stadt drei stimmberechtigte Mitglieder in den verwaltenden Ausschuss des Vereins entsenden möge – von denen einer sogar den Vorsitz des Vereins übernehmen könne. Im Mai 1853 erneuerte Schulze-Delitzsch seine zwischenzeitlich noch nicht entschiedene Bitte an den Magistrat. Danach verfolgte er den Plan aber offenbar nicht weiter und riet stattdessen der wachsenden Zahl von Vorschussvereinen von staatlicher Unterstützung ab.

Die weitere Entwicklung vom Delitzscher Vorschuss-Verein zur heutigen Volksbank Delitzsch wird hier im Folgenden nur kurz in Stichpunkten zusammengefasst:

  • 13. September 1907: die Generalversammlung beschließt den Wechsel von der unbeschränkten zur beschränkten Haftung der Mitglieder (Delitzscher Vorschuss-Verein eGmbH)
  • 13. August 1908: die Generalversammlung stimmt für die Umfirmierung des Vorschuss-Vereins in die „Delitzscher Vereinsbank eGmbH“
  • 1. Juli 1926: die Vereinsbank bezieht ihr neues Bankgebäude am Roßplatz 1 – welches 1927 auch als erstes eigenes Bankgebäude erworben wird
  • September 1938: die Vereinsbank erwirbt ein neues Geschäftshaus in der Eilenburger Straße 18 (vormals Hotel „Fürst Bismarck“). Nach dem Umbau wird es am 14. November 1938 mit einem neu errichteten Tresorraum eröffnet. (Das alte Bankgebäude am Roßplatz erwies sich für das weitere Wachstum als zu klein und wurde 1941 verkauft.)
  • 28. Februar 1939: die Generalversammlung beschließt die Umfirmierung der Vereinsbank in „Volksbank Delitzsch eGmbH, Bank und Sparkasse“
  • 19. März 1940: abermalige Umfirmierung in „Volksbank Delitzsch eGmbH in Delitzsch“
  • 1946: Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden die nun in der Sowjetischen Besatzungszone befindlichen Volksbanken einheitlich in Banken für Handwerk und Gewerbe eGmbH umbenannt. In Delitzsch wird die Umfirmierung am 19. April des Jahres beschlossen.
  • 7. April 1973: Im Zuge der Rationalisierung der Volkswirtschaft werden die gewerblichen Kreditgenossenschaften der DDR zu Beginn der 1970er Jahre auf Kreisebene zusammengefasst. Dazu stimmen die Mitglieder der Banken für Handwerk und Gewerbe in Delitzsch und Eilenburg im April 1973 – rückwirkend zum 1. Januar 1973 – für die Fusion zur „Genossenschaftsbank für Handwerk und Gewerbe“ mit Sitz in Delitzsch (siehe hierzu auch: Genossenschaftsbanken in der DDR).
  • 25. Mai 1974: die Generalversammlung beschließt die Umbenennung in „Genossenschaftskasse für Handwerk und Gewerbe Delitzsch-Eilenburg“ mit Hauptsitz in Delitzsch
  • 31. März 1990: Nach dem Mauerfall und mit Blick auf die bevorstehende Wiedervereinigung Deutschlands beschließt die Generalversammlung der Genossenschaftskasse die Umfirmierung in „Volksbank Delitzsch eG“
  • Ende September 1991: die Mitglieder der Volksbank Delitzsch und der ebenfalls vor Ort bestehenden Raiffeisenbank Delitzsch beschließen die Fusion beider Banken zum 1. Januar 1992. Zur Wahl des künftigen Firmennamens heißt es im Verschmelzungsvertrag: „Mit dem Verzicht auf einen Doppelnamen wollen die Mitglieder der Raiffeisenbank die auf den Begründer des gewerblichen Genossenschaftswesens zurückgehende Tradition der Volksbank würdigen.“