Hintergrund

Zeitgenössiche Kritik an den Zollschranken im Deutschen Reich (1819)

Noch im 17. Jahrhundert bestand das spätere Deutsche Reich aus einem lockeren Verbund von über 1.500 souveränen Fürstentümern, Grafschaften, Reichsstädten, Bistümern, Stiften und anderen Herrschaftsterritorien. Dieser „Flickenteppich“ hatte unter anderem eine enorme Rechtszersplitterung zur Folge, wodurch der überregionale Handel auf deutschem Gebiet durch zahlreiche Zölle und Mautschranken behindert wurde. Getrieben von der Furcht vor der übermächtig erscheinenden englischen Exportindustrie forderte die deutsche Wirtschaft einen Abbau der innerdeutschen Zollbarrieren sowie möglichst hohe Schutzzölle für den Außenhandel.

Deutscher Zollverein – Karikatur zum Wegfall der Zollschranken Zeitgenössische Karikatur zum Zollschranken-Dschungel (Quelle: wikipedia, gemeinfrei)

Im April 1819 verfasste dazu der deutsche Nationalökonom und Eisenbahn-Pionier Friedrich List (1789-1846) für den Allgemeinen Deutschen Handels- und Gewerbsverein eine Bittschrift an die Bundesversammlung in Frankfurt/Main. Darin schrieb er unter anderem:

„38 Zoll- und Mautlinien in Deutschland lähmen den Verkehr im Innern und bringen ungefähr dieselbe Wirkung hervor, wie wenn jedes Glied des menschlichen Körpers unterbunden wird, damit das Blut ja nicht in ein anderes überfließe. Um von Hamburg nach Österreich, von Berlin in die Schweiz zu handeln, hat man zehn Staaten zu durchschneiden, zehn Zoll- und Mautordnungen zu studieren, zehnmal Durchgangszoll zu bezahlen. Wer aber das Unglück hat, auf einer Grenze zu wohnen, wo drei oder vier Staaten zusammenstoßen, der verlebt sein ganzes Leben mitten unter feindlich gesinnten Zöllnern und Mautnern, der hat kein Vaterland.
(…)
Trostlos ist dieser Zustand für Männer, welche wirken und handeln möchten; mit neidischen Blicken sehen sie hinüber über den Rhein, wo ein großes Volk vom Kanal bis an das Mittelländische Meer, vom Rhein bis an die Pyrenäen, von der Grenze Hollands bis Italien auf freien Flüssen und offenen Landstraßen Handel treibt, ohne einem Mautner zu begegnen.

Zoll und Maut können, wie der Krieg, nur als Verteidigung gerechtfertigt werden. Je kleiner aber der Staat ist, welcher eine Maut errichtet, desto größer das Übel, desto mehr würgt sie die Regsamkeit des Volkes, desto größer die Erhebungskosten; denn kleine Staaten liegen überall an der Grenze. (…) Und so geht denn die Kraft derselben Deutschen, die zur Zeit der Hansa, unter dem Schutz eigener Kriegsschiffe, den Welthandel trieben, durch 38 Maut- und Zollsysteme zugrunde.
(…)
Die alleruntertänigst Unterzeichneten (…) wagen es demnach, einer hohen Bundesversammlung die alleruntertänigste Bitte vorzutragen:
1. dass die Zölle und Mauten im Inneren Deutschlands aufgehoben, dagegen aber
2. ein auf dem Grundsatz der Retorsion [] beruhendes Zollsystem gegen fremde Nationen aufgestellt werden möchte, bis auch sie den Grundsatz der europäischen Handelsfreiheit aberkennen.“

(zitiert nach: Friedrich List, „Schriften, Reden, Briefe.“ Band 1 / Teil 2, Berlin 1929, S. 491-495)