Ab 1845 verbreitete sich von Berlin ausgehend die Bewegung der Zwecksparvereine. Hierin sollten bedürftige Leute kleine und kleinste Beträge ansparen, um damit auf gemeinsame Rechnung und in großen Mengen preiswerter ihre grundlegenden Haushalts- und Lebensmittel zu erwerben. Das den Konsumgenossenschaften ähnliche Konzept stieß zwar schnell auf große Resonanz, dauerhaft durchsetzten konnte es sich jedoch nicht.
Im März 1845 wandte sich der Berliner Generalstaatskassenbuchhalter (und ehrenamtliches Mitglied der Armenkommission) Gottlieb Samuel Liedke (1803-1852) mit einem Aufruf zur Gründung einer Spargesellschaft an die minderbemittelte Bevölkerung im Berliner Bezirk Hamburger Tor. Darin plädierte er für die Gründung eines Sparvereins, in den bedürftige Anwohner über die Sommerwochen hinweg kleine und kleinste Beträge ansparen sollten. Aus der angesammelten Summe sollte dann in großen Mengen (Stichwort Mengenrabatt) Haushalts- und Lebensmittel wie Holz, Torf, Kartoffeln oder Hülsenfrüchte für den Winter erworben und nach der Höhe der jeweiligen Spareinlagen verteilt werden. Die Verwaltungskosten sollte der Vorstand des Sparvereins aus eigenen Mitteln tragen; etwaige mildtätige Zuwendungen sollten den Mitgliedern ungekürzt durch Verwaltungsausgaben zugehen.
Mit dem Wohlwollen des Königs
Ebenfalls 1845 veröffentlichte Liedke seine Schrift „Hebung der Not der arbeitenden Klassen durch Selbsthilfe„, in der er gleichfalls für solche Sparvereine warb. Seine Überlegungen fanden schnell Anhänger. Bereits 1846 bestanden in Berlin 29 solcher Spargesellschaften. Zudem verbreitete sich das Konzept von Berlin aus über Preußen in andere Staaten, teilweise sogar bis nach Frankreich, Belgien und in die Schweiz. Auf besondere Resonanz stießen die – bald auch „Liedke’sche Vereine“ genannten – Sparkassen, in Württemberg. Unterstützung fanden die Zwecksparvereine unter anderem beim preußischen König Friedrich Wilhelm IV., der den Spargesellschaften mit mildtätigen Beiträgen sein besonderes Wohlwollen zum Ausdruck brachte, sowie beim damaligen Prinzen von Preußen (dem späteren Kaiser Wilhelm I.) und auch dem Genossenschaftspionier Victor Aimé Huber.
Mangelnde Spardisziplin der Bedürftigen
Allerdings war Liedkes Konzept kein nachhaltiger Erfolg beschieden. Schon nach wenigen Jahren lief die Bewegung wieder aus, wozu wahrscheinlich auch die politischen Ereignisse ab 1848 beitrugen. Liedke selbst machte hierfür aber unter anderem auch die vorgesehenen fixen Termine für die Spareinlagen (zweiwöchentlich, monatlich, etc.) verantwortlich – verbunden mit der Tatsache, dass es „dem größeren Theile der Armen rein unmöglich ist, auch nur 24 Stunden lang baares Geld aufzubewahren“. Zudem gelang es ihm nicht, durch Bessergestellte als ehrenamtliche „Moralagenten“ die Bedürftigen zu mehr Spardisziplin zu motivierten. Ein weiteres Problem waren die nicht ausreichenden Lagermöglichkeiten bei den Beteiligten für die in großen Mengen eingekauften Waren. Die bereits bestehenden Zwecksparvereine sind im Übrigen vermutlich nicht alle eingegangen. Vielmehr liegt der Gedanke nahe, dass zumindest einige in den sich ab der Jahrhundertmitte ausbreitenden Konsumgenossenschaften aufgegangen sind.
(Ähnlich orientierte Vorläufer wie die Liedke’schen Vereine gab es beispielsweise auch in Süddeutschland. Hier sollten sogenannte Spar- und Fruchtvereine Notleidende bei der Versorgung mit billigen Kartoffeln und anderen Bedürfnissen unterstützen.)
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