Hintergrund

Die Redlichen Pioniere von Rochdale

Ein oft zitiertes frühes Beispiel moderner genossenschaftlicher Selbsthilfe ist die im Dezember 1844 von 28 Webern in Nordengland gegründete Rochdale Society of Equitable Pioneers. Anfänglich noch spöttisch belächelt, wurden die von den Redlichen Pionieren geprägten Grundsätze schnell zu einem wichtigen Eckpfeiler der konsumgenossenschaftlichen Bewegung.

Redliche Pioniere von Rochdale - Ladenansicht Der erste Laden der Redlichen Pioniere von Rochdale (Bild: PA mb/lit)

Der Konsumverein war eine Reaktion auf die Industrialisierung und den damit verbundenen gesellschaftlichen Umwälzungen. Dabei wurde vor allem die schnell wachsende Arbeiterschaft in den Städten von den traditionellen Versorgungsmöglichkeiten abgeschnitten. Stattdessen waren sie auf Krämer angewiesen, die nur zu oft mit verfälschten Lebensmitteln die Notlage der Arbeiter auszunutzen suchten. Da wurden unter anderem Mehl oder Milch mit Gips bzw. Wasser gestreckt, verdorbene Butter unter einem Überzug frischer Butter getarnt, Nudeln durch Urin anstatt durch Eidotter gelb eingefärbt oder die Verkaufspreise durch zusätzliche Gewichte unter den Waagschalen manipuliert. Gegen diese Praktiken versuchten sich Arbeiter durch die Gründung von Konsumvereinen bzw. Ladengenossenschaften zur Wehr zu setzen.

Erste Beispiele solcher genossenschaftlich organisierten Geschäfte gab es in England bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts – jedoch waren viele dieser Gründungen bald wieder eingegangen. Als wegweisend für die weitere Entwicklung der Konsumgenossenschaften erwies sich erst die „Gesellschaft der redlichen Pioniere von Rochdale“. Zu ihren Grundsätzen zählten eine ehrliche Geschäftspolitik mit unverfälschter Ware zu vollem Gewicht und mit einkalkulierten Gewinnmargen, eine begrenzte Verzinsung der Genossenschaftsanteile verbunden mit einer Überschuss-Rückvergütung auf die getätigten Käufe sowie ein demokratisches Organisationsprinzip mit jeweils nur einer Stimme je Mitglied unabhängig von der Höhe der Kapitalbeteiligung.

Am 21. Dezember 1844 eröffneten die Redlichen Pioniere ihre erste Verkaufsstelle in einem kleinen Laden in der Krötengasse in Rochdale. Anfänglich schlug ihnen noch Skepsis und teilweiser Spott ihrer Mitbürger entgegen, doch der Erfolg sollte ihnen bald Recht geben. Bereits fünf Jahre nach ihrer Gründung zählte die Konsumgenossenschaft 400 Mitglieder und erwirtschaftete einen Umsatz von umgerechnet 132.000 Mark. Bis 1864 stieg die Mitgliederzahl auf knapp 5.000, der Umsatz erreichte 3,5 Millionen Mark. Und die Idee der Redlichen Pioniere blieb auch nicht auf Rochdale beschränkt: Bis 1864 existierten in England und Schottland schon 600 Konsumgenossenschaften mit insgesamt rund 130.000 Mitgliedern und einem Umsatz von umgerechnet 56 Millionen Mark.