Entwicklung in der Weimarer Republik

Genossenschaften zwischen Krieg und Großer Inflation (1918-1925)

Kaum war der Erste Weltkrieg überstanden, standen die Genossenschaften vor ihrer nächsten Bewährungsprobe: Um die Kriegsschulden zu bezahlen, warf das Deutsche Reich die Notenpresse an – und nährte damit kräftig die bereits seit einigen Jahren schwelende Inflation. Bis Mitte 1923 wurde daraus eine Hyperinflation, die auch so manche Genossenschaft aus der Bahn warf.

Gründungsschub nach Kriegsende

Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg gewann der Zusammenschluss in Genossenschaften stark an Bedeutung. Lag die Zahl der Neugründungen vor 1918 noch bei etwa 1.000 jährlich, stieg sie bereits im Jahr 1918 auf mehr als 2.000 an. In den folgenden drei Jahren kann man von einem regelrechten Gründungsfieber sprechen: In dieser Zeit schnellte die Zahl der Neugründungen auf jeweils rund 5.000 jährlich empor. Erst von 1926 bis 1933 fiel die Zahl wieder unter die Marke von 2.000 pro Jahr.

Notenpresse gegen Kriegsschulden

Reichsmark: Banknote aus der Inflationszeit 1923Geldschein über 2 Million Mark: 1923 stiegen die Beträge auf den Banknoten von Woche zu Woche(Bild: PA mb/gk)

 

Notgeldschein Gewerbebank 1923Ersatzgeld: Notgeldschein der Gewerbebank Riedlingen (1923)(Bild: PA mb/gk)

Diese vielen Neugründungen entstanden in einer wirtschaftlich sehr schwierigen Zeit: Die Kriegswirtschaft musste wieder auf eine zivile „Friedensproduktion“ umgestellt sowie Kriegsversehrte und Hinterbliebene versorgt werden. Zugleich musste Deutschland neben seinen eigenen Kriegsschulden hohe Reparationsleistungen zahlen. Zur Finanzierung behalf sich die Regierung mit einer zunehmenden Betätigung der Notenpresse – und nährte damit kräftig die bereits zu Kriegszeiten begonnene Inflation.

Ab Juni 1923 wurde aus der bereits galoppierenden Inflation eine Hyperinflation. Das umlaufende Bargeld stieg auf die astronomisch anmutende Summe von fast 500 Trillionen Mark (zum Vergleich: eine Trillion ist eine 1 mit 18 Nullen, also hier 500.000.000.000.000.000.000 Mark). Hinzu kamen weitere 200 Trillionen Mark „Notgeld“, das von Gemeinden und Betrieben ausgegeben wurde. Rund 300 Papierfabriken und 150 Druckereien waren mit der Herstellung von Banknoten beschäftigt.

Und während die Beträge auf den Geldscheinen immer größer wurden, sank die Kaufkraft der Währung ins Bodenlose. Vormals monatlich gezahlte Gehälter wurden bald wöchentlich und dann auch täglich ausbezahlt. Wer das Geld nicht gleich ausgab, musste damit rechnen, dass es kurze Zeit später nur noch einen Bruchteil wert war. Das schiere Ausmaß des Geldverfalls zeigte sich im Alltag unter anderem bei den Postgebühren. Kostete der Versand eines Briefes im Juli 1923 noch 100 Mark im Ortsverkehr und 200 Mark im Fernverkehr, so schnellten die Preise dafür bis Mitte November des Jahres auf fünf bzw. zehn Milliarden Mark empor.

Astronomische Bilanzsummen

Inflation und Hyperinflation sowie auch deren Eindämmung durch die Einführung der neuen, wieder durch Sachwerte gedeckten Rentenmark (1 Rentenmark = 1 Billion Papiermark) spiegelten sich auch in den Statuten vieler Genossenschaften wider. Auf planmäßigen und außerplanmäßigen Generalversammlungen wurden mehrfach zeitnah unter anderem die Höhe des Geschäftsanteils und die Haftungssummen angepasst. Daneben musste in den Bilanzen mit immer größeren Summen kalkuliert werden – so beispielsweise auch bei der erst im Juni 1921 gegründeten Gewerbebank Bautzen eGmbH (heute Volksbank Bautzen eG): Belief sich hier die Bilanzsumme für das erste (Rumpf-)Geschäftsjahr noch auf 1.042.990,56 Mark, so schnellte sie für 1922 auf stolze 42.636.533,61 Mark und schließlich für 1923 auf astronomische 41.585.880.504.102.001,00 Mark (41 Billiarden Mark) empor. Erst nach dem radikalen Währungsschnitt – d.h. der Einführung der neuen Rentenmark im Verhältnis 1 zu 1 Billion Papiermark im November 1923 – pegelte sich die Bilanzsumme im Geschäftsjahr 1924 wieder bei „überschaubaren“ 142.269,68 Rentenmark ein.

Steigende Zahl an Auflösungen

So manche Genossenschaften wurden von der galoppierenden Inflation und der folgenden Währungsumstellung aber auch aus der Bahn geworfen. Davon betroffen waren insbesondere zahlreiche junge Genossenschaften, die erst während des Gründungsfiebers nach dem 1. Weltkrieg entstanden waren. Ihnen fehlte noch die wirtschaftliche Kraft und/oder auch das ernsthafte Engagement der Mitglieder für eine dauerhafte Existenz. Die Folge war ein deutlicher Anstieg der Genossenschaftsauflösungen, der sich jedoch aufgrund des einige Zeit dauernden Liquidationsverfahren erst zeitlich verzögert in der Statistik niederschlug. Zwar sprang die Zahl der Genossenschaftsauflösungen bereits 1921 deutlich über die 1.000er-Marke. Die große Zahl der Auflösungen wurde jedoch erst in den Jahren 1924 bis 1926 mit 2.107, 3.204 bzw. 2.269 liquidierten Genossenschaften verzeichnet.

Dazu trugen auch die infolge der Goldmark- und Reichsmarkumstellung vorgenommenen Nichtigkeitserklärungen bei. Diese Löschungen wurden ab 1925 von Amts wegen bei Genossenschaften vorgenommen, die den gesetzlich geforderten Währungsumstellungen in ihren Bilanzen nicht nachkamen. 1925 waren hiervon 800 Genossenschaften betroffen. Danach ging die Zahl der Löschungen rasch wieder zurück (1926: 463, 1927: 429, 1928: 166, 1929: 60, 1930: 28).

Positive Gesamtentwicklung

Insgesamt wuchs die Zahl der deutschen Genossenschaften von Anfang 1913 bis 1925 trotz der zeitweise die Neugründungen überwiegenden Auflösungen und der verlorenen Genossenschaften in den nach Kriegsende abgetretenen Gebieten von 35.026 auf 52.722 an. Das entspricht einem Gesamtzuwachs von 17.696 Genossenschaften bzw. einem beeindruckenden Plus von gut 50 Prozent innerhalb von nur zwölf Jahren.

Gut 40 Prozent aller deutschen Genossenschaften waren damals gewerbliche und ländliche Bankgenossenschaften, deren Zahl in der Weimarer Republik ihren Hochpunkt erreichte. Dazu beigetragen hat insbesondere eine starke Ausbreitung der Spar- und Darlehnskassen, die mittlerweile in den meisten Dörfern existierten. Danach begann vor allem im ländlichen Bereich ein stetiger Konzentrationsprozess – der in den folgenden Abschnitten noch thematisiert werden wird.

Im Vergleich dazu war die zahlenmäßige Bedeutung der anderen Genossenschaftssparten deutlich geringer. So betrug der Anteil der ländlichen und gewerblichen Rohstoffgenossenschaften zum Jahresanfang 1925 rund 13 Prozent, die Produktivgenossenschaften kamen auf knapp 10 Prozent. Die Konsum- und Baugenossenschaften machten zu diesem Zeitpunkt 4,6 bzw. 7,3 Prozent aller deutschen Genossenschaften aus.