Die Ausbreitung des deutschen Genossenschaftswesens blieb nicht auf die europäischen Grenzen des Deutschen Kaiserreichs begrenzt. Mit den Auswanderern fassten die Ideen von Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen auch in den deutschen Kolonien Fuß. So existierten beispielsweise in Deutsch-Südwestafrika mehrere landwirtschaftliche Genossenschaften, die seit 1907 (insbesondere auf Betreiben des deutschen Genossenschaftlers Wilhelm Haas) auch in einem eigenen Regionalverband organisiert waren.
Einige Informationen über die Genossenschaften in Deutsch-Südwestafrika zu Beginn des Ersten Weltkrieges finden sich im Jahrbuch des Allgemeinen Deutschen Genossenschaftsverbandes (Schulze-Delitzsch) für 1915:
„Seit Beginn des Krieges war der Reichsverband der Deutschen Landwirtschaftlichen Genossenschaften in Sorge um das Schicksal des ihm angeschlossenen Deutsch-Südwestafrikanischen Genossenschaftsverbandes, e.V., in Windhuk, dem 1 Zentralkasse, 1 Kredit- und 5 Bezugs- und Absatzgenossenschaften angehörten. Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen stand in dieser hoffnungsvollen Kolonie in erfreulicher Entwicklung, die Gründung einer neuen Genossenschaftsbank im Norden der Kolonie mit dem Sitz in Omaruru war vollzogen; der gewählte Geschäftsführer, der bereits in gleicher Stellung in einer Genossenschaft in Südwestafrika tätig gewesen war, wollte seine Ausfahrt von Deutschland antreten, als der Krieg ausbrach. Seitdem fehlen amtliche Nachrichten über das Ergehen der Genossenschaften in Deutsch-Südwestafrika. Wie der Reichsverband aber von zuverlässiger privater Seite erfahren hat, soll die Genossenschaftsbank in Windhuk während des Krieges den Betrieb aufrechterhalten haben und ihn auch jetzt weiterführen. Auch die Ein- und Verkaufsgenossenschaft in Windhuk soll ihre bisherige Tätigkeit weiterausüben und größere Umsätze erzielt haben: So darf man hoffen, dass das Genossenschaftswesen in Deutsch-Südwestafrika den Krieg überdauert und, wenn die deutsche Flagge wieder über der Kolonie weht, helfen wird, die Kriegsschäden zu überwinden.“
(aus: Jahrbuch des Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften für 1915, S. 20.)
Die Hoffnung, dass die deutsche Flagge nach Ende des Ersten Weltkrieges wieder über der Kolonie wehen möge, erfüllte sich bekanntermaßen nicht. Im Juli 1915 ergab sich die deutsche Schutzgruppe den Soldaten der mit Großbritannien alliierten Südafrikanischen Union. Mit dem Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 wurde Deutsch-Südwestafrika zum Mandatsgebiet des Völkerbundes erklärt (heute Teil der Republik Namibia). Mit dieser und den zahlreichen anderen Gebietsabtretungen insbesondere in Europa verlor das deutsche Genossenschaftswesen nach Ende des Ersten Weltkrieges zwischen 3.600 und 4.000 Genossenschaften.
Wer Informationen über die weitere Entwicklung der deutschen Genossenschaften in Deutsch-Südwestafrika (oder auch in anderen ehemals deutschen Kolonien) hat, kann diese gerne über die nachstehende Kommentarfunktion ergänzen bzw. mir bitte über die Kontaktdaten mitteilen.
Nachtrag: Auf den Webseiten der Universitätsbibliothek Frankfurt/Main findet sich eine digitalisierte Fassung des „Deutschen Kolonial-Lexikons“ von 1920 (das jedoch den Stand von vor dem Ersten Weltkrieg schildert). Darin werden für Deutsch-Südwestafrika (Bd. 1, S. 410ff., Punkt 11 – Finanzwesen) zumindest drei Genossenschaftsbanken namentlich genannt:
- die Spar- und Darlehnskasse in Gibeon
- der Swakopmunder Bankverein eGmbH und
- die Deutsch-Südwestafrikanische Genossenschaftsbank eGmbH in Windhuk.
Weitere Informationen im Web:
- Deutsch-Südwestafrika (Wikipedia-Artikel)
- Chronologie: Deutsch-Südwestafrika (deutsche-schutzgebiete.de)
- Die Kolonie Deutsch-Südwestafrika (Deutsches Historisches Museum)
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Spannend. Das Genossenschaftsmodell als früher Exportschlager… 🙂