Porträt

Wilhelm Haas (1839-1913)

Wilhelm Haas gilt neben Friedrich Wilhelm Raiffeisen als der zweite große Gründervater des ländlichen Genossenschaftswesens. Zudem machte er sich für den Zusammenschluss von Genossenschaften zu schlagkräftigen Verbünden stark und gründete den Reichsverband ländlicher Genossenschaften.

Wilhelm Haas - PorträtWilhelm Haas Bild: PA mb/lit

Karl Friedrich Wilhelm Haas wurde am 26. Oktober 1839 in Darmstadt als Sohn eines Gymnasialprofessors und seiner Frau geboren. Nach dem Besuch des Ludwig-Georg-Gymnasiums – wo er, wie es in einigen Quellen heißt, nur wenig Lerneifer zeigte – studierte er ab 1857 Rechtswissenschaften an der Landesuniversität Gießen. 1861 schloss er das Studium mit der Examensnote „gut“ ab. Es folgte eine juristische Vorbereitungszeit an den Gerichten Darmstadt und Langen und der Abschluss der zweiten juristischen Staatsprüfung im Frühjahr 1864. Danach entschied sich Haas, eine Verwaltungslaufbahn einzuschlagen und in den hessischen Staatsdienst zu treten. Nach verschiedenen Zwischenstationen an den Kreisämtern Dieburg, Groß-Gerau, Heppenheim und Büdingen wurde er 1869 als Kreisassessor an das Großherzogliche Hessische Kreisamt in Friedberg in Oberhessen versetzt.

Erste Genossenschaftskontakte

Im Zuge seiner Arbeit beschäftigte sich Haas zunehmend auch mit der Landwirtschaft und deren Problemen. Dabei geriet er unter anderem mit dem damaligen Generalsekretär der landwirtschaftlichen Vereine im Großherzogtum Hessen, Karl von Langsdorff, in Kontakt (welcher wiederum enge Beziehungen zu Friedrich Wilhelm Raiffeisen unterhielt). Insbesondere dessen Schrift über „Ländliche Kredit- und Konsumvereine“ hat Haas nach eigenen Aussagen „unmittelbar angeregt“ und ihm „die genossenschaftliche Neigung eingeimpft“. Am 7. Februar 1872 gründete Haas zusammen mit Langsdorff in Friedberg einen Landwirtschaftlichen Konsumverein, dessen erster Direktor er wurde.

Neben dem Friedberger Konsumverein existierten zu dieser Zeit noch gut ein Dutzend weiterer dieser Bezugsgenossenschaften in Hessen, die jedoch alle mehr oder weniger allein vor sich hin arbeiteten. Haas erkannte das Potenzial einer Kräftebündelung: Er initiierte am 30. Juni 1873 die Gründung des Verbandes der hessischen landwirtschaftlichen Konsumvereine und wurde zu dessen Präsident gewählt. Über den schnell wachsenden Verband organisierte Haas den gemeinsamen Warenbezug beispielsweise von Kohle, Dünger, Futtermitteln oder Sämereien für die einzelnen Mitgliedsgenossenschaften.

Sparten- statt Universalgenossenschaften

Im Gegensatz zu Friedrich Wilhelm Raiffeisen – der vor allem für ländliche Dörfer und Kleinstädte die Bildung von gemischten Universalgenossenschaften propagierte – befürwortete Haas die Gründung mehrerer, nach ihrem Geschäftszweck getrennter Einzelgenossenschaften. Zudem hielt er bei seinen Vereinen die Bildung eines eigenen Genossenschaftskapitals für notwendig. Wie auch Hermann Schulze-Delitzsch setzte Haas daher auf den verpflichtenden Erwerb von Geschäftsanteilen durch die Mitglieder. Damit stand Haas ebenfalls im Gegensatz zu Raiffeisen, der aus Motiven der christlichen Wohltätigkeit auch den Ärmsten einer Dorfgemeinschaft ohne Einschränkungen den Beitritt zu einer Genossenschaft ermöglichen wollte.

Nach und nach erweiterte sich das Haas’sche System um weitere Spartengenossenschaften wie die landwirtschaftlichen Kredit- oder Molkereigenossenschaften. Zudem breitete sich seine Idee über die hessischen Grenzen hinweg aus, wobei sich die entstehenden Genossenschaften ebenfalls in regionalen Verbänden zusammenschlossen. Zusammen mit einigen anderen Genossenschaftlern wie Carl Moritz Stoeckel und Rudolph Weidenhammer startete Hass einen Aufruf, um die verschiedenen Verbände unter einem Dach zu organisieren. Am 6. Juli 1883 gründeten daraufhin neun Regionalverbände mit insgesamt 248 Genossenschaften die Vereinigung der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften (ab 1890 Allgemeiner Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften des Deutschen Reiches; ab 1903 dann Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften). Haas übernahm von Beginn an die Führung dieser Zentralorganisation. 1890 erhielt er dafür den Titel Anwalt des Allgemeinen Verbandes verliehen (ab 1905: Generalanwalt des Reichsverbandes).

Parallel zu seinem genossenschaftlichen Wirken arbeitete Haas auch noch weiter im hessischen Staatsdienst. Hier wurde er 1874 zum Polizeirat und zum Vorsteher des Staatlichen Polizeiamtes in Darmstadt berufen. 1886 ernannte man ihn zum Kreisrat für den Kreis Offenburg/Main, ab 1896 dann zum Geheimen Regierungsrat. Zudem engagierte sich Haas als Politiker. Seit 1881 war er Mitglied des Hessischen Landtages, von 1898 bis 1912 saß er als Mitglied der Nationalliberalen Fraktion im Deutschen Reichstag.

Die enorme Arbeitsbelastung führte jedoch zu erheblichen gesundheitlichen Belastungen, so dass sich Haas wiederholt zu mehrwöchigen Erholungsurlauben genötigt sah. Im Jahr 1900 entschloss er sich schließlich zum Abschied aus dem Staatsdienst, um sich ganz der Genossenschaftsbewegung widmen zu können. Auf dem Vereinstag in Halle wählten ihn die Mitglieder des Allgemeinen Verbandes zum Anwalt auf Lebenszeit. Zu Haas‘ weiteren genossenschaftlichen „Meilensteinen“ zählten die 1904 von ihm veranlasste Gründung der Deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaftsschule zur Ausbildung von Revisoren und Verbandsbeamten (offenbar die erste genossenschaftliche Schulungsstätte in Deutschland) sowie der wesentlich unter seinem Einfluss 1907 in Windhuk entstandene Deutsch-Südwestafrikanische Genossenschaftsverband.

Wilhelm Haas starb am 8. Februar 1913 in Darmstadt. Vier Tage später wurde er auf dem Friedhof seiner Heimatstadt beerdigt. Auf seinem Grabstein ehrten ihn seine Freunde und Anhänger mit dem Versprechen: „Dem Ganzen dienen! So hat er es uns gelehrt, so werden wir es halten.“


(Ende) genossenschaftsgeschichte.info/15.10.2014/mar