Genossenschaften in der Bonner Republik

Entwicklung der Konsumgenossenschaften 1949-1989

Vor besonderen Herausforderungen standen nach 1945 die Konsumgenossenschaften: Von den Nationalsozialisten aufgelöst wurden sie vielerorts bald nach Kriegsende von alten Genossenschaftlern neu- bzw. wieder gegründet. Doch der allgemein steigende Lebensstandard und die Konkurrenz durch Discounter und Warenhäuser setzten die „Verbrauchergenossenschaften“ zunehmend unter Druck. In den 70er und 80er Jahren verschmolzen zahlreiche Konsumgenossenschaften zur co op AG – die wiederum 1988/89 im Zuge eines der größten Wirtschaftsskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte zerschlagen wurde.

Einen wesentlichen Impuls für den Neuaufbau der Konsumgenossenschaften nach Ende des „Dritten Reichs“ lieferten die am 8. März 1946 von der britischen Militärbehörde erlassenen Bestimmungen zur Zulassung neuer Konsumgenossenschaften. Die dabei geforderten Regeln entsprachen sehr stark den Grundsätzen der Redlichen Pioniere von Rochdale. Bis Ende 1948 existierten in den westlichen Besatzungszonen bereits wieder 274 Konsumgenossenschaften mit über 5.700 Verteilstellen und 756.000 Mitgliedern. Auf dem zweiten Konsumgenossenschaftstag nach dem Krieg im September 1948 schlossen sich die Vereine im Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften zusammen.

Starker Konzentrationsprozess

Zu Beginn der 1960er Jahre erreichte die neue konsumgenossenschaftliche Bewegung in der Bundesrepublik ihren Hochpunkt mit 9.638 Verteilungsstellen (1960) bzw. 2,59 Millionen Mitgliedern (1961). In den Folgejahren mussten sich die Konsumgenossenschaften jedoch der Erkenntnis stellen, dass ihre Zeit als Versorgungsstelle einer armen Arbeiterschicht ablief. Wesentlich verantwortlich hierfür waren die über alle Bevölkerungsgruppen hinweg spürbar gestiegenen Einkommen sowie der damit einhergehende bessere Lebensstandard.

Gleichzeitig gerieten die Konsumvereine durch das Vordringen von Discountern, Warenhäusern, Versandunternehmen und großen Einzelhandelsketten wirtschaftlich zunehmend unter Druck. Das führte spätestens ab Mitte der 1960er Jahre zu einem umfassenden Konzentrationsprozess. Durch die Verschmelzung zu größeren Einheiten verringerte sich die Zahl der kleinen, lokalen Konsumgenossenschaften zwischen 1960 und 1977 von 270 auf 68.

Parallel zum Konzentrationsprozess setzte auch eine große Modernisierungsdebatte ein. Dabei wurde infolge der zunehmend als unzulänglich und reformbedürftig angesehenen Strukturen der konsumgenossenschaftlichen Organisation 1967 der Bund deutscher Konsumgenossenschaften gegründet. Ihm schlossen sich rund 60 Prozent der damals existierenden Konsumgenossenschaften an. Diese in Form einer GmbH organisierte neue „Konzernspitze“ verantwortete für die Mitgliedsgenossenschaften unter anderem die einheitliche Laden- und Sortimentsgestaltung, die Warenbeschaffung, das Rechnungswesen und auch die gemeinschaftliche Werbung.

Neue Einheitsmarke „co op“

Im Verlauf der Reformbestrebungen geriet auch das Label „Konsumgenossenschaft“ selbst auf den Prüfstand. Mehrere Umfragen von Marktforschungsinstituten erbrachten Mitte der 60er Jahre kein positives Image der genossenschaftlichen Selbsthilfe-Läden. Vielmehr wurde der Begriff „Konsum“ von vielen Bundesbürgern mit Werten wie „unfreundlich“, „unsympathisch“ oder „altmodisch“ in Verbindung gebracht. Angesichts dieses negativen Meinungsbildes beschloss der Bund deutscher Konsumgenossenschaften 1969 für die ihm damals angeschlossenen 6.200 Konsumläden die Einführung der bundeseinheitlichen Dachmarke „co op“. (Der Begriff dient international als Abkürzung für das englische Wort für Genossenschaft, „Cooperative“.)

Während der Modernisierungsdebatte wurde darüber hinaus auch über die Frage der passenden Rechtsform diskutiert. Nach einer Änderung des Aktiengesetzes begannen sich zahlreiche Konsumgenossenschaften ab 1972 in Aktiengesellschaften umzuwandeln. Sie erhofften sich dadurch insbesondere eine Erleichterung bei der Kapitalbeschaffung zur Modernisierung ihrer Ladennetze.

Der „co op-Skandal“

Im Ergebnis des Modernisierungs- und Konzentrationsprozesses wurde ein großer Teil des konsumgenossenschaftlichen Handels bis zum Beginn der 1980er Jahre unter dem Dach der Frankfurter co op AG vereinigt. 1987 ging das Unternehmen mit breiter Brust an die Börse. Doch schon zwei Jahre und etliche „bilanzielle Gestaltungsmaßnahmen“ später wurde es im Zuge des „co op-Skandals“, einem der größten Wirtschaftsskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte, zerschlagen.

Die Zahl der deutschen Konsumgenossenschaften (ohne Zentralen) reduzierte sich von 1977 bis 1990 von 68 auf 28. Dabei handelte es sich vor allem um verschiedene kleine und kleinste Konsumgenossenschaften, die sich nicht unter das Dach der co op AG begeben hatten. Für „frisches Blut“ und einen neuerlichen Aufschwung der konsumgenossenschaftlichen Bewegung sorgten nach dem Fall der Mauer 1989/90 die knapp 200 Konsumgenossenschaften der DDR. Zudem öffnete sich die Sparte zunehmend anderen Dienstleistungsgenossenschaften wie etwa der taz eG oder verschiedenen Freien Schulen in Genossenschaftsform.