Diskriminierung und Ausschluss

Genossenschaften in der NS-Zeit: Judenverfolgung

In der dunklen Zeit der nationalsozialistischen Diktatur machte die Judenverfolgung auch vor den Genossenschaften nicht Halt. Mit welcher Bereitschaft und in welchem Umfang sich die einzelnen Genossenschaften bei der Diskriminierung und Verfolgung ihrer jüdischen Mitglieder, Angestellten und Kunden beteiligt haben, lässt sich allerdings pauschal kaum sagen.

Der Judenboykott 1933

Anzeige 1924: Sind deutsche Juden vaterländisch? „Sind deutsche Juden vaterländisch?“, Zeitungsanzeige des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (1924)Quelle: Stadtarchiv Thale

 

Judenverfolgung: Boykott jüdischer Geschäfte 1933 Boykott eines jüdischen Geschäftes in Berlin am 1. April 1933Quelle: US National Archives and Records Administration

Durch Antisemitismus bedingte Boykotte jüdischer Unternehmen und Geschäfte gab es in Deutschland schon um die Wende zum 20. Jahrhundert. In der Weimarer Republik häuften sich dann die Schikanen sowie die meist durch SA-Truppen begangenen Übergriffe gegen Juden und ihre Geschäfte und anderen Einrichtungen. Zusätzlich bestärkt wurden die Boykott-Befürworter durch die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen. Ab 1931 wurde dann auch in der nationalsozialistische Parteipresse zunehmend ein landesweiter Boykott erwogen.

Für den 1. April 1933 organisierte das NS-Regime schließlich einen groß angelegten Boykott aller jüdischen Geschäfte in Deutschland. „Im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ wurde der Verkauf jüdischer Waren an diesem Tag komplett verboten. Damit wollte man eine Antwort auf vorgebliche jüdische „Weltgreuelhetze“ gegen das „neue Deutschland“ geben, wie Joseph Goebbels in seinem Tagebuch notierte.

Eine Folge des Boykotts war unter anderem ein gestiegener Druck auf Unternehmen, sich durch die Absetzung jüdischer Vorstands- und Aufsichtsratmitglieder sowie die Entlassung (leitender) jüdischer Mitarbeiter vor Diskriminierungen und Repressalien des NS-Regimes zu schützen. Diese Entwicklung machte auch vor den Genossenschaften nicht halt: So sah sich beispielsweise die Volksbank Heilbronn am 25. April 1933 gezwungen, ihren zweiten Geschäftsführer, den Juden Otto Igersheimer, auf öffentlichen Druck hin zu entlassen. In der örtlichen nationalsozialistischen Presse wurde am Tag darauf die „absolute Judenreinheit dieses bodenständigen Bankinstitutes“ begrüßt, wie aus dem wikipedia-Eintrag der Volksbank Heilbronn hervor geht.

Reichsweiter Ausschluss aller jüdischen Genossenschaftsmitglieder

Ab 1935 wurde die Judenverfolgung einmal mehr intensiviert. Mit den Nürnberger Gesetzen vom 16. September 1935 entzogen die Nationalsozialisten den deutschen Juden weitere Bürgerrechte und schufen damit eine Ausgangsbasis für ihre weitere Ausgrenzung und Verfolgung. So wurde beispielsweise bei den gewerblichen Genossenschaften 1936 die Mustersatzung um einen Paragraphen gegen „nichtarische“ Mitglieder erweitert („Arierparagraph“). Allerdings wurde der diskriminierende Absatz nicht von allen mittelständischen Genossenschaften übernommen.

Nürnberger Gesetze: Übersicht zum Blutschutzgesetz Übersicht zum „Blutschutzgesetz“ von 1938Quelle: United States Holocaust Memorial Museum Collection

Drei Tage nach der Reichskristallnacht vom 9. November 1938 erließ Hermann Göring als Hitlers Beauftragter für den Vierjahresplan die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“. Darin wurde ihnen mit § 3 auch die Mitgliedschaft in Genossenschaften verboten: „Ein Jude kann nicht Mitglied einer Genossenschaft sein. Jüdische Mitglieder von Genossenschaften scheiden zum 31. Dezember 1938 aus. Eine besondere Kündigung ist nicht erforderlich.

Für die jüdischen Mitglieder hatte ihr Ausschluss aus den Genossenschaften – ob er nun zum Jahresende 1938 oder schon zuvor erfolgte – meist erhebliche Folgen. Hatten Juden beispielsweise als Mitglied einer Genossenschaftsbank Hypotheken aufgenommen, so wurden diese mit ihrem Ausschluss gesperrt und zur umgehenden Rückzahlung fällig gestellt. Zur Bezahlung ihrer Schulden waren viele Juden so gezwungen, ihren Besitz – meist unter Wert – zu verkaufen. Bei den Wohnungsgenossenschaften wiederum wurden jüdische Bewohner nach ihrem Ausschluss aus der Genossenschaft auch zwangsweise „entmietet“ (wie etwa der Spar- und Bauverein Konstanz eG in seiner Chronik berichtet).

Eine Frage der Einzelfall-Betrachtung

In welchem Ausmaß sich die Genossenschaften insgesamt bei der Diskriminierung und Verfolgung ihrer jüdischen Mitglieder, Angestellten und Kunden beteiligt haben, lässt sich pauschal kaum sagen. Zwar haben zahlreiche Genossenschaften inzwischen ihre NS-Vergangenheit aufgearbeitet, doch aufgrund der Eigenständigkeit jeder Genossenschaft lassen sich diese individuellen Ergebnisse nur schwer verallgemeinern. Eine Zusammentragung der Einzelergebnisse könnte sich allerdings als ganz interessant erweisen, um zumindest Tendenzen beim Umgang mit den Juden in den Genossenschaften ausmachen zu können…