Verbandsgeschichte

150 Jahre Genossenschaftsverband in Baden-Württemberg

Die Wurzeln des heutigen Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes (BWGV) reichen zurück bis ins Jahr 1864. Damals wurde der „Verband der wirtschaftlichen Genossenschaften in Baden und Württemberg“ aus der Taufe gehoben. Doch bald folgten diverse Aufspaltungen und Neugründungen in den beiden Landesteilen sowie auf gewerblicher und ländlicher Seite. Erst die weitreichenden Fusionsentscheidungen in den Jahren 1970/1971 und 2007/2008 führten schließlich wieder zur Vereinigung der unterschiedlichen eigenständigen Verbände im heutigen BWGV.

BWGV Jubiläumslogo 2014Das Jubiläumslogo (2014) Bild: BWGV

Im 19. Jahrhundert war das heutige Baden-Württemberg – damals noch das Großherzogtum Baden und das Königreich Württemberg – überwiegend landwirtschaftlich geprägt. Mehrere Jahre der Missernten, Inflation und steigender Arbeitslosigkeit führten damals wiederholt zu tiefen Krisen. In dieser Situation fand die neue Organisationsform „Genossenschaft“ immer mehr Anhänger. Gestützt insbesondere auf den Ideen der Genossenschaftspioniere Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen enstanden auch im deutschen Südwesten schnell zahlreiche genossenschaftlich organisierte Gewerbe- und Vorschussvereine. Die neue Organisationsform bot die Chance, durch gemeinschaftliche Tätigkeit wirtschaftlich potentere Einheiten zu bilden und demokratische Ideale aufleben zu lassen.

Bürgermuseum StuttgartDie Gründungsstätte: das Bürgermuseum in Stuttgart (undatiert) Bild: BWGV

Verbandsgründung 1864 als gemeinsame Wurzel

Am 21. August 1864 wurde im Beisein von Hermann Schulze-Delitzsch im Saal des Stuttgarter Bürgermuseums der „Verband wirtschaftlicher Genossenschaften in Württemberg und Baden“ gegründet. Die Einheit der badischen und württembergischen Genossenschaftsorganisation blieb jedoch nicht lange bestehen. Schnell begann die Zersplitterung in viele Einzelverbände in den beiden Ländern und auf gewerblicher wie ländlicher Seite.

Die verschiedenen Genossenschaftsverbände übernahmen in Südwestdeutschland schon früh vielfältige Aufgaben für ihre Mitglieder. Unter anderem boten sie schon seit den Anfangsjahren Hinweise zur Gründung einer Genossenschaft oder zur Geschäftsführung. Eine wesentliche Stärkung und Ausweitung ihrer Stellung erfuhren die Verbände dann mit dem revidierten Genossenschaftsgesetz von 1889. Dieses sah unter anderem die Einführung einer regelmäßigen Revisionspflicht für alle Genossenschaften vor. Sie mussten nun mindestens alle zwei Jahre ihre Einrichtungen und ihre Geschäftsführung durch einen der Genossenschaft nicht angehörigen Revisior prüfen lassen. Die bei den Genossenschaften anfänglich auf wenig Gegenliebe stoßende obligatorische Revision wurde dadurch zu einem wichtigen Aufgabenfeld der Genossenschaftsverbände.

Zwischen Kriegen und Krisen

1928 kam es auf Reichsebene zu einer Neuformierung des ländlichen Genossenschaftswesens durch den Zusammenschluss der damals bestehenden beiden nationalen Spitzenverbände zum Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften – Raiffeisen. In Folge dessen drängten staatliche Instanzen auch bei den Genossenschaftsverbänden in Baden und Württemberg auf entsprechende Veränderungen. Dort war bis dahin eine Vielzahl von zum Teil konkurrierenden Verbänden entstanden, was mit Blick auf die genossenschaftliche Gesamtorganisation wenig effektiv erschien. In der Folge schlossen sich 1929 jeweils in Baden und Württemberg die ländlichen Verbände zusammen. Bei den gewerblichen Verbänden vollzog sich diese Entwicklung erst 1938/1939.

Mit der Machtübernahme durch die NSDAP im Jahr 1933 begann in Deutschland die Gleichschaltung aller politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche. Dadurch änderten sich die Bedingungen auch für die Genossenschaften und ihre Verbände in Baden wie in Württemberg grundlegend. Sie waren nicht mehr allein den Mitgliedern verpflichtet, sondern wurden Teil des zentral gelenkten nationalsozialistischen Wirtschaftssystems. Mit zunehmender Dauer des Zweiten Weltkrieges kämpften die Genossenschaftsverbände dann vor allem damit, ihren normalen Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten und die regelmäßigen Prüfungen durchzuführen.

Zusammenschluss der gewerblichen und ländlichen Verbände

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gerieten Baden und Württemberg unter französische und amerikanische Besatzung. Die Besatzungszonen verliefen dabei quer durch beide Länder, wobei eine restriktive Grenzpolitik gemeinsames Handeln anfangs sehr erschwerte. Die Kommunikation zwischen den Genossenschaften und ihren Verbänden konnte in dieser Zeit nur begrenzt aufgenommen werden. Die Genossenschaftsverbände richteten Außenstellen ein, um diesem Problem zu begegnen.

Genossenschaftsschule SchrozbergAm 1. März 1947 nahm die Württembergische landwirtschaftliche Genossenschaftsschule in Schrozberg ihren Betrieb auf. Sie bildete den Anfang der Akademie Hohenheim. (1947) Bild: BWGV

Nach der Gründung der Bundesrepublik 1949 nahm der sich bereits seit der Jahrhundertwende anbahnende Strukturwandel von einer Agrar- zu einer Industriegesellschaft in Baden-Württemberg an Fahrt auf. Für die wachsenden Aufgaben waren die Genossenschaften immer häufiger auf die Anleitung und Beratung ihrer Verbände angewiesen, die sich nicht nur um den Wiederaufbau des Geldwesens kümmerten, sondern auch um den Wareneinkauf, den Absatz und die Verwertung landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Darüber hinaus bauten sie ihre Bildungseinrichtungen aus und erweiterten ihr Informations-, Beratungs- und Schulungsangebot. Damit reagierten die Verbände unter anderem auf die Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft, welche für die badenwürttembergische Agrarwirtschaft mit ihren vielen kleinen und mittleren Betrieben eine enorme Herausforderung bedeutete.

Bald wurde dabei auch deutlich, dass die strikte organisatorische Trennung zwischen landwirtschaftlichen und gewerblichen Genossenschaften nicht mehr länger aufrecht zu erhalten war. Deshalb schlossen sich beide Gruppen in Württemberg 1970 und in Baden 1971 jeweils zum Württembergischen Genossenschaftsverband (WGV) und zum Badischen Genossenschaftsverband (BGV) zusammen. Hierbei nahmen die gewerblichen und ländlichen Genossenschaftsverbände in Württemberg und Baden eine Entwicklung vorweg, die auf nationaler Ebene zwar schon seit 1967 zwischen dem Deutschen Genossenschaftsverband (Schulze-Delitzsch) und dem Deutschen Raiffeisenverband diskutiert wurde, aber erst Anfang 1972 zum Abschluss kam: die Neuordnung der ländlichen und gewerblichen Genossenschaftsorganisationen durch die Gründung eines gemeinsamen Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbandes (DGRV).

Anzeige Wiedervereinigung 1990Anzeige der Volksbanken Raiffeisenbanken zur Wiedervereinigung 1990 Bild: BWGV

Wiedervereinigung & Europäisierung

Mit der Wiedervereinigung kam auch auf die Genossenschaften und Genossenschaftsverbände der Bundesrepublik eine große Herausforderung zu: die Unterstützung der ostdeutschen Genossenschaften bei der erforderlichen Reorganisation und der Anpassung an die Marktwirtschaft. Auch die Genossenschaftsverbände in Baden-Württemberg und deren Beratungsunternehmen engagierten sich: Sie organisierten individuelle Hilfeleistungen zwischen einzelnen Genossenschaften in Ost und West. Zudem hoben sie in Sachsen den Mitteldeutschen Genossenschaftsverband mit aus der Taufe und unterstützten dessen Arbeit aktiv.

Darüber hinaus wurde in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts auch der allgemeine Strukturwandel durch die Europäisierung weiter spürbar angekurbelt. Damit die Genossenschaften wettbewerbsfähig bleiben konnten, gab es zahlreiche Fusionen. Vor allem die ländlichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften standen vor der Aufgabe, sich neue Geschäftsfelder zu erschließen und die Wettbewerbsfähigkeit durch Rationalisierung und Strukturanpassung zu verbessern. Auch die Zahl der Volksbanken und Raiffeisenbanken ging nicht nur in Baden-Württemberg zurück.

Gleichzeitig stiegen in dieser Zeit die Anforderungen an BGV und WGV, ihr Dienstleistungs- und Beratungsangebot immer weiter auszubauen – und das den durch Fusionen schrumpfenden Mitgliederzahlen zum Trotz. In der Folge mussten beide Genossenschaftsverbände immer stärker Synergien aus der eigenen Organisation nutzen, um ihre Existenz weiter zu sichern.

GENO-Haus Stuttgart (ca. 2003)Das GENO-Haus in Stuttgart (ca. 2003)

BWGV-FusionsmaskottchenDas Fusions-Maskottchen S’Karlchen (2009) Bilder: BWGV

Fusion zum BWGV

Um auch in Zukunft die Herausforderungen zusammen mit den Mitgliedern stemmen und effizient arbeiten zu können, standen die regionalen Genossenschaftsverbände vor einer neuerlichen Bündelung ihre Kräfte. Nachdem Fusionsverhandlungen zwischen dem WGV und dem Genossenschaftsverband Bayern abgebrochen wurden, unterschrieben BGV und WGV im Jahr 2004 eine Kooperationsvereinbarung. Diese legte den Grundstein für eine gemeinsame Beratung und Begleitung der baden-württembergischen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften.

Bis dahin war den Verbänden allerdings immer die Wahrung ihrer Selbstständigkeit wichtig gewesen, auch wenn Politiker wie beispielsweise Erwin Teufel wiederholt für einen gemeinsamen badenwürttembergischen Genossenschaftsverband plädiert hatten. Mit der Kooperationsvereinbarung von 2004 intensivierte sich nun die Zusammenarbeit zunehmend. Am 7. November 2007 beschlossen der Verbandsrat des BGV und der Verwaltungsrat des WGV dann die Aufnahme konkreter Verschmelzungsgespräche. Im Ergebnis derer wurden zum 1. Januar 2009 nach fast sechs Jahrzehnten vereintem Bundesland Baden-Württemberg schließlich auch die beiden Genossenschaftsverbände im Land zum Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband (BWGV) zusammengeführt.

Ausführlichere Informationen zur 150-jährigen Geschichte des heutigen Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbandes bietet eine sehr schöne Zeitstrahl-Darstellung direkt auf der Webseite des BWGV.


Quelle: BWGV (bwgv-wir-leben-genossenschaft.de)
(Ende) genossenschaftsgeschichte.info/27.02.2014/mar