Erste Zusammenschlüsse

Entwicklung der Genossenschaftsverbände (I)

Mit dem Anwachsen der Genossenschaftsbewegung wuchs der Wunsch nach einer stärkeren Verbindung der Vereine untereinander und einer Interessenvertretung nach außen. Dazu entstanden zahlreiche regionale und nationale Genossenschaftsverbände – allen voran der Allgemeine Verband Schulze-Delitzschs und die Anwaltschaft der Raiffeisengenossenschaften.

Allgemeiner Verband (Schulze-Delitzsch)

Gestützt auf die Veröffentlichungen der Genossenschaftsvordenker Schulze-Delitzsch, Huber oder auch Raiffeisen sowie ihre zahlreichen Vorträge breitete sich die Genossenschaftsidee schnell aus. So stieg allein die Zahl der von Schulze-Delitzsch verzeichneten Vorschussvereine zwischen 1855 und 1869 von 6 auf 735, die Summe ihrer Mitglieder von 1.532 auf 304.772 an. In dieser Phase machte sich jedoch zunehmend das Fehlen zentraler Strukturen hemmend für die weitere Entwicklung des Genossenschaftswesens bemerkbar. Der Ruf nach einer übergreifenden Koordinierungs- und Betreuungsstelle wurde lauter.

Bereits auf dem ersten Vereinstag Deutscher Vorschuss- und Kreditvereine im Juni 1859 unterbreitete Schulze-Delitzsch daher den Vorschlag, ein Centralkorrespondenzbureau der deutschen Vorschuss- und Kreditvereine als gemeinsame Verbindungsstelle zu errichten – was zwei Jahre später auch verwirklicht wurde. Ein weiteres Jahr später wurde die Umwandlung des Korrespondenzbureaus in eine Anwaltschaft deutscher Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vollzogen, um so neben den Vorschussvereinen auch anderen gewerblichen Genossenschaften und auch den Konsumvereinen gerecht zu werden. 1864 wurde die Anwaltschaft schließlich nochmals umbenannt in Allgemeiner Verband der auf Selbsthilfe beruhenden Deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Ihm gehörten neben 337 Vorschussvereinen bereits weitere 40 Rohstoff-, Magazin- und Produktionsgenossenschaften sowie auch die ersten 15 Konsumvereine an.

Anwaltschaft der Raiffeisengenossenschaften

Auch in den Reihen der landwirtschaftlichen Genossenschaften wuchs schon wenige Jahre nach Gründung ihrer ersten Vereinigungen der Wunsch nach besserer Verbindung untereinander. Ursprünglich hatte Raiffeisen hierzu zwar die Verbindung seiner Genossenschaftsorganisation mit dem Verband Schulze-Delitzschs noch 1866 „zur möglichen Herbeiführung eines einheitlichen Wirkens (…) als höchst wünschenswert“ bezeichnet. Doch nach einer heute als „Systemstreit“ bezeichneten Phase der Auseinandersetzung mit Schulze-Delitzsch über die praktische Ausgestaltung ihrer Genossenschaftsideen nahm er hiervon wieder Abstand.

Stattdessen rief er im Sommer 1877 den Anwaltschaftsverband ländlicher Genossenschaften als ersten Spitzenverband seiner Organisation ins Leben. Der Verband sollte bei der Verbreitung der Darlehnskassen-Vereine helfen und „ihre Interessen in jeder Beziehung nach Kräften fördern„. Letzteres umfasste neben der Vertretung gegenüber Behörden und Politik insbesondere auch den gemeinschaftlichen Bezug von landwirtschaftlichen Waren sowie den gemeinsamen Verkauf landwirtschaftlicher Produkte.

Entwicklung bei den Konsum- und Baugenossenschaften

Von etlichen Konsumgenossenschaften wurde bereits 1867 in Stuttgart ein eigenständiger Verband deutscher Consumvereine gegründet. Jedoch gelang es diesem nicht, sich deutschlandweit zu etablieren. Nach fünf Jahren entschieden sich seine Mitglieder für einen geschlossenen Übertritt in den Allgemeinen Verband von Schulze-Delitzsch. In den folgenden zwei Jahrzehnten entwickelten sich die Konsumvereine jedoch immer mehr zu ernsthaften Konkurrenten für die Handwerker und Einzelhändler. Teilweise betrieben sie bereits eigene Produktionsstätten in Konkurrenz zu lokalen Gewerbetreibenden. Infolge dieses Interessenkonfliktes beschloss der Allgemeinen Verband im September 1902 den Ausschluss zahlreicher Konsumgenossenschaften. Diese gründeten 1903 unter Führung von Heinrich Kaufmann (1864-1928) ihren eigenen Zentralverband deutscher Konsumvereine.

Parallel zu den Konsumvereinen sammelten sich auch die Mehrzahl der Bau- und Wohnungsgenossenschaften anfänglich unter dem Dach des Allgemeinen Verbandes. Erst 1896 entstand mit dem Verband der Baugenossenschaften Deutschlands der erste eigene Zusammenschluss im gemeinnützigen Wohnungsbau.

(Neben diesen großen, nationalen Genossenschaftsverbände entstanden in den Folgejahren auch zahlreiche Regionalverbände, die meist auch nur eine bestimmte Genossenschaftssparte umfassten. Auf ihre komplexe, von vielen Fusionen gekennzeichnete Geschichte soll hier jedoch (zumindest vorerst) nicht weiter eingegangen werden. NACHTRAG vom 27. Februar 2014: siehe hierzu jetzt beispielsweise 150 Jahre Baden-Württembergischer Genossenschaftsverband (1864-2014))