Die Genossenschaftsidee gehört jetzt offiziell zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit. Das hat der Zwischenstaatliche Ausschuss zum Immateriellen Kulturerbe der Unesco im Rahmen seiner Jahrestagung in Addis-Abeba beschlossen. Es handelt sich um den ersten Vorschlag aus Deutschland zur Aufnahme in die „Repräsentative Liste“. Bereits 2015 hatte die deutsche Unesco-Vertretung ihre erste internationale Nominierung unter dem Titel „Idee und Praxis der Organisation von gemeinsamen Interessen in Genossenschaften“ eingereicht.
Die Unesco begründete ihre Wahl damit, dass die Genossenschaft eine allen offen stehende Form der gesellschaftlichen Selbstorganisation sei, ein Modell der kooperativen Selbsthilfe und Selbstverantwortung. Das Konzept fördere die soziale, kulturelle und ökonomische Partizipation, indem Mitglieder durch den Erwerb von Genossenschaftsanteilen auch zu Miteigentümern würden. Dabei sichere die Praxis „ein Mitglied, eine Stimme“, unabhängig von der Gesamtzahl der erworbenen Anteile eines Mitgliedes, für alle die Möglichkeit der Mitbestimmung und aktiven Mitgestaltung. Weltweit gebe es etwa 800 Millionen Genossenschaftsmitglieder in mehr als 100 Ländern, 21 Millionen davon allein in Deutschland. Die hohe Anzahl von Genossenschaftsmitgliedern in Deutschland und die rechtliche Absicherung ihrer Grundsätze durch ein Genossenschaftsgesetz seien im internationalen Vergleich Besonderheiten, so die Deutsche Unesco-Kommission weiter.
Schulze-Delitzsch und Raiffeisen als Vordenker
Die Aufnahme ist auch eine Würdigung des Erbes von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch. Auch wenn beide das Genossenschaftskonzept nicht erfunden haben, so schufen sie doch Mitte des 19. Jahrhunderts entscheidende Grundlagen für die Genossenschaftsidee und gründeten die ersten genossenschaftlichen Organisationen moderner Prägung in Deutschland. „Wir sind hocherfreut darüber und dankbar, dass auf diese Weise die Väter der Genossenschaften in Deutschland, Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen, eine Würdigung erhalten – für die Grundlegung einer Idee, die heute mehr denn je von großer Relevanz ist“, bekräftigt dann auch Josef Zolk, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft.
Zusammen mit der Deutschen Hermann-Schulze-Delitzsch-Gesellschaft hat die Deutsche Friedrich-Wilhelm Raiffeisen-Gesellschaft seit 2013 die Nominierung der Genossenschaftsidee für die Aufnahme in die Repräsentative Liste der Unesco vorangetrieben. Seit 2014 ist die Idee der Genossenschaften bereits im deutschen Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes eingetragen.
Mehr zu den (deutschen) Anfängen der Genossenschaftsidee:
Hintergrund: Immaterielles Kulturerbe
Zum Immateriellen Kulturerbe zählen lebendige Traditionen aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik, mündliche Überlieferungen, Naturwissen und Handwerkstechniken. Seit 2003 unterstützt die Unesco den Schutz, die Dokumentation und den Erhalt dieser Kulturformen. Bis heute sind 171 Staaten dem Unesco-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes beigetreten. Deutschland ist seit 2013 Vertragsstaat.
Zu den Kriterien für die Anerkennung eines Brauches bzw. einer Kulturtechnik zählen insbesondere eine nachweisbare Lebendigkeit und eine identitätsstiftende Komponente für die Trägergemeinschaft der Kulturform. Von Bedeutung sind zudem auch die Entwicklung von Erhaltungsmaßnahmen, eine weitreichende Beteiligung der Trägergemeinschaft und die Eintragung in ein nationales Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Mit der Einschreibung verpflichten sich die Vertragsstaaten, das Immaterielle Kulturerbe auf ihrem jeweiligen Staatsgebiet zu fördern.
Quelle: Deutsche Unesco-Kommission
(Ende) genossenschaftsgeschichte.info/30.11.2016/mar
Pingback: Citizen Science und Immaterielles Kulturerbe