Dämpfkolonne einer Raiffeisen-Genossenschaft
Kartoffel-Dämpfkolonne einer ländlichen Raiffeisen-Genossenschaft (um 1935)
Kartoffel-Dämpfkolonne einer ländlichen Raiffeisen-Genossenschaft (um 1935)
Die Wurzeln der Raiffeisen’schen Genossenschaften reichen zurück bis in den Westerwald zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Dort sah sich der noch junge Bürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen mit den Problemen der oftmals mittellosen Landbevölkerung konfrontiert. Bei Missernten oder verendetem Vieh suchten viele Bauern ihr Heil bei Wucherern, die ihnen zu ernormen Zinsraten Geld liehen. Konnten die Bauern das Geld nicht zurückzahlen, drohte ihnen die Zwangsversteigerung der Höfe. Wie Hermann Schulze-Delitzsch in der Stadt setzte Raiffeisen auf dem Land auf regionale Zusammenschlüsse der Dorfbewohner – wobei er infolge seines von christlichen Werten geprägten Lebensbildes die Faktoren Christenpflicht und Nächstenliebe wesentlich stärker betonte.
Während die meisten Wurzeln des modernen Genossenschaftswesens in England und Frankreich liegen, ist der Typ der Kreditgenossenschaft eine originäre deutsche Entwicklung. Wesentlich vorangebracht wurde das Konzept durch den Genossenschaftspionier Hermann Schulze-Delitzsch. Im Mai 1850 rief er den Delitzscher Vorschuss-Verein ins Leben, der als Keimzelle der heutigen Volksbanken gilt.
Der Schneidermeister Ernst Bürmann war – neben Dr. Anton Bernhardi – ein wesentlicher Führer der Eilenburger Handwerker. Er engagierte sich unter anderem im Eilenburger Bürgerverein – von dem wiederum die Initiative zur Gründung der örtlichen Darlehnskasse ausging.
Er war Arzt, zugleich aber auch Erfinder und Unternehmer, Politiker und Genossenschaftspionier: Im Kampf gegen die sozialen Missstände während der Industrialisierung entwickelte Anton Bernhardi Produktionsmöglichkeiten zur Herstellung preiswerter Kalksandstein-Ziegel. Zudem war er Mitbegründer des Eilenburger Darlehnskassen-Vereins – dessen Mitglieder noch vor Hermann Schulze-Delitzsch auf die Prinzipien der solidarischen Haftung und der Selbsthilfe setzten.
Der Eilenburger Darlehnskassen-Verein spielte bei der Entwicklung des modernen deutschen Genossenschaftswesens eine große Bedeutung. Hier wurden erstmals die Prinzipien der Selbsthilfe und der unbeschränkten Solidarhaftung aller Mitglieder bei einem Vorschussverein verwirklicht.
Ansicht der Stadt Eilenburg um 1840
Der 1850 vom Genossenschaftspionier Hermann Schulze-Delitzsch gegründete Delitzscher Vorschuss-Verein ist zwar nicht die älteste Bankgenossenschaft Deutschlands. Trotzdem gilt er als eine wichtige Wurzel des modernen Genossenschaftswesens: Hier – und beim Darlehnskassen-Verein im benachbarten Eilenburg – wurden erstmals für Kreditgenossenschaften die Prinzipien der Selbsthilfe und Selbstverantwortung nachhaltig umgesetzt.
Der Genossenschaftspionier und liberale Politiker Hermann Schulze-Delitzsch während einer Rede vor dem Deutschen Reichstag (1874).
Die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates (Kuratoriumsausschuss) des Delitzscher Vorschuss-Vereins im Jahr 1853.